Leben Ist Jetzt
Reife: Erwachsener werden und sich eine kindliche Seele bewahren
Papst Gregor der Große erzählt in der Lebensbeschreibung des hl. Benedikt etwas, was zunächst seltsam anmutet. Benedikt habe schon von
früher Jugend an das Herz eines reifen Mannes gehabt: ein „cor senile“, „ein altes Herz“. Papst Gregor meint mit diesem eigenartigen Ausdruck nicht,
dass Benedikt schon in seiner Jugend „senil“ gewesen sei, also innerlich erstarrt. Vielmehr können wir dieses Wort nur verstehen, wenn wir die
Wertschätzung des Alters bei den Römern berücksichtigen. So sagt Cicero in seinem Buch „Über das Alter“: „Die größten Staaten sind durch die Jungen ins
Wanken gebracht, durch die Alten gestützt und wieder aufgerichtet worden.“ Als junger Mensch das Herz eines Alten in sich tragen meint also, dass
Benedikt schon als Kind voller Weisheit war, dass er ein inneres Wissen in sich hatte, das durch das Oberflächliche hindurch das eigentliche Wesen der
Dinge erkannt hat.
Kindheit und Alter sind also nicht nur als Pole des Lebens oder gar als Gegensätze zu verstehen. Beide Lebensphasen verkörpern Aspekte
des Menschseins oder repräsentieren etwas, das zur Menschlichkeit dazugehört. Jesus fordert uns, also auch und gerade die älter Werdenden, auf, wie die
Kinder zu werden. Denn nur wer das Himmelreich annimmt wie einKind, wird hineingelangen. (Vgl. Mk 10,15) Die Haltung des Kindes meint
die Offenheit. Gott ist der immer neue, der unser Leben erneuern möchte. Himmelreich bedeutet, dass Gott in uns herrscht und nicht die Macht oder das
Geld. Wenn Gott in uns herrscht, sind wir innerlich frei und heil und ganz. Und wir kommen in Berührung mit dem ursprünglichen Bild Gottes in uns. Doch
das Reich Gottes kann man nicht kaufen oder durch Leistung erwerben. Es braucht die Haltung des Kindes, das sich beschenken lässt, das sich dem Neuen, das
sich Gott gegenüber öffnet.
Der alte Picasso sagt übrigens etwas ähnlich Paradoxes zur inneren Beziehung von Kindheit und Alter: „Es dauert lang, jung zu werden.
“ In die Haltung des Kindseins oder des Jungseins – so meint Picasso mit diesem Satz wohl – muss man bewusst hineinwachsen. Und das braucht
lange. Das meint, dass wir die Haltung des Kindes sehr schnell verlieren und mit anderen Haltungen überdecken. Daher müssen wir uns diese innere
Lebendigkeit und Offenheit des Kindes wieder erwerben. Wir sollen nicht infantil bleiben. Dann würden wir uns nicht weiter entwickeln. Die Kunst des
Lebens besteht darin, dass wir auf der einen Seite immer reifer und erwachsener werden, auf der anderen Seite aber das innere Kind in uns bewahren. Die
Psychologie spricht davon, dass wir mit dem inneren Kind in Berührungkommen sollen, das eine Quelle von Inspiration und Lebendigkeit
ist. Und das innere Kind hat ein Gespür für seine Einmaligkeit. „Ich bin ich. Ich bin, wer ich bin.“ Insofern ist es Zeichen des reifen Menschen, wenn er
seine kindliche Seele bewahrt. Er bleibt dann innerlich lebendig und offen für das Geheimnis seines Lebens. In jedem Alter.
Wir sollten uns Inseln der Langsamkeit gönnen
Heute sind die Dinge etwas wert, die schnell gehen und schnell Ertrag bringen. Die Welt im Ganzen wird immer schneller. Jungsein wird
meist gleichgesetzt mit Schnelligkeit, mit Flexibilität und Mobilität. Einer solchen Sicht sollten wir uns, wenn wir älter werden, aber nicht
unterwerfen. Auch das Kind ist schließlich langsam. Es genießt die Langsamkeit. Wenn die Eltern es anspornen, sich schneller anzuziehen, genießt es das
Kind, bewusst langsam zu sein. Es lässt sich nicht gerne hetzen. Es braucht Zeit zum Träumen und Spielen. Und auch der älter werdende Mensch wird wieder
einen neuen Sinn für die Langsamkeit entdecken. Nicht umsonst ist das Buch von Sten Nadolny zum Kultbuch geworden: „Die Entdeckung der Langsamkeit
“. Langsamkeit ist auch Zeichen von Spiritualität. Der ältere Mensch kann es sich erlauben, wieder langsamer zu werden. Mitten im Leben stehend können wir
bei der Arbeit nicht langsam sein. Sonst würden wir in kurzer Zeit unsere Stelle verlieren. Aber auch wer im Berufsleben steht, braucht den Gegenpol: die
Langsamkeit. Es gibt Menschen, die die Hektik bei der Arbeit auch in ihre Familien bringen. Sie sind kein Segen für ihre Familie. Die Kinder wollen nicht
die Hektik des Vaters oder der Mutter, wenn sie gestresst von der Arbeit nach Hause kommen. Was sie sich wünschenund was sie
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