Leben Ist Jetzt
Jungen.
Die Erfahrung und die Fähigkeit, die Dinge in größeren Zusammenhängen zu sehen, geben alten Menschen nicht nur Gelassenheit, sondern
zugleich Vertrauen in das Leben und in die Zukunft. Und dieses Vertrauen sollen sie auch der Gesellschaft vermitteln. Sie hat es bitter nötig. Ältere
Menschen sollten in der Gesellschaft Zeugnis geben für die Werte, die ihnen im Leben wichtig waren und heute noch sind, für die Werte, die auch heute das
Leben in der Gesellschaft wertvoll machen könnten. Ohne solche Werte zerfällt eine Gesellschaft, sie kann ohne sie nicht überleben.
Mit der Einsamkeit ausgesöhnt und offen für Beziehungen
Einsamkeit ist keine Erfahrung, die dem Alter vorbehalten ist. Einsamkeit tut immer weh. Dennoch ist klar, dass das Thema in späteren
Jahren wichtiger wird: wenn die Kinder nicht mehr im Haus sind, wenn langjährige Freunde verstorben sind oder sich durch Umzug weit entfernt haben. Wenn
Krankheit hinzukommt, ist ein alter Mensch vielleicht nicht mehr beweglich genug, um andere zu besuchen. Dann dürfen wir dem Schmerz über die Einsamkeit
nicht aus dem Weg gehen.
Wir müssen betrauern, dass wir nicht mehr umschwärmt werden von den Menschen, die uns bewundern. Das auszuhalten tut weh. Wenn wir das
betrauern, kommen wir in Berührung mit dem Grund unserer Seele, in dem neue Möglichkeiten des Lebens und neue Fähigkeiten bereit liegen. Wer den Schmerz
über seine Einsamkeit nicht betrauert, der jammert entweder oder aber er klagt andere an, dass sie ihn allein lassen. Er geht nicht durch den Schmerz
hindurch, sondern bleibt vor dem Schmerz stehen und badet in Selbstmitleid. Im Selbstmitleid kann er schwimmen und rudern und kommt doch keinen Schritt
vorwärts. Das Betrauern der eigenen Einsamkeit lässt mich mein Alleinsein in neuer Weise erleben. Das deutsche Wort „einsam“ istzusammengesetzt aus „ein“ und „sam“. „Ein“ meint die Einheit des Menschen, eins zu sein mit sich selbst. „Sam“ kommt von sammeln und
bedeutet „mit etwas übereinstimmend, zusammenhängend“. Einsam ist also eigentlich ein positiver Begriff. Er meint, dass der Mensch mit sich selbst
übereinstimmt, dass er eins geworden ist mit sich selbst und dazu innerlich ja gesagt hat. Ähnlich positiv kann man das deutsche Wort „allein
“ deuten. Peter Schellenbaum meinte einmal, es sei doch herrlich „all-eins“ zu sein, mit allem eins zu sein. Zum Alter gehört das Alleinsein, dass der
Mensch mit allem zusammen gewachsen ist, eins geworden ist mit der ganzen Welt. Im Alter hat er all das erfahren, was in seiner Seele an Möglichkeiten
bereit liegt. Und damit versucht er, eins zu werden, einverstanden zu sein.
Die Einsamkeit, die uns weh tut, will uns daran erinnern, dass wir noch nicht eins geworden sind mit uns. Wenn wir die Einsamkeit als Schmerz
erfahren, dann sollen wir nicht vor der Einsamkeit fliehen, sondern sie aushalten. Im Aushalten der Einsamkeit können wir mit uns selbst in Berührung
kommen. Und wir ahnen, dass wir nicht ganz allein sind, sondern dass Gottes heilende und liebende Gegenwart uns umhüllt. Allerdings können wir nicht immer
unsere Einsamkeit aushalten. Wir sollen spüren, wo es besser ist, bei uns zu bleiben, und wo wir auch etwas nach außen tun sollen, um uns nicht mit
unserem Alleinsein zu überfordern. Wir können Freundeanrufen. Wir können zu andern Menschen gehen, Gruppen besuchen, Kurse machen, uns
für andere engagieren. Es braucht einen gesunden Ausgleich zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft.
Der erste Schritt auf diesem Weg zu einer gesunden Balance besteht darin, sich mit seiner Einsamkeit und seinem Alleinsein auszusöhnen
und es positiv anzunehmen, um das Einssein mit sich selbst und mit allem, was ist, zu genießen. Der zweite Schritt aber besteht darin, offen zu sein für
Beziehungen.
Freundschaft bleibt ein hohes Gut
Wer mit sich gut allein sein kann, der ist auch in der Zeit des Älterwerdens fähig, Beziehungen zu knüpfen und Freundschaften
aufzubauen. Er ist nicht angewiesen auf Freunde. Er sucht sich keine Freunde, um dem Alleinsein aus dem Weg zu gehen. Denn dann würde er die Freunde nur
dazu benutzen, dass er sich nicht allein fühlt. Er öffnet sich für Beziehungen und Freundschaft und ist dankbar, wenn sie gelingen. Aber er läuft ihnen
nicht um jeden Preis nach. Er lässt sich auf Freundschaft ein, wo sie sich ergibt. Letztlich ist Freundschaft immer Geschenk. Aber ich kenne viele
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