Leben Ist Jetzt
genug verweilen sie in ihren Gedanken in der
Vergangenheit. Gerade wenn ein Ehepartner gestorben ist oder wenn die Gegenwart nicht viel Aufregendes zu bieten hat, leben sie in der Erinnerung. Das
Verweilen in der Vergangenheit lässt die Zeit schneller verstreichen. Alte Menschen warten weniger auf die Zukunft. Sie versuchen, ihren Alltag zu
meistern. Um ihn meistern zu können, beziehen sie ihre Kraft aus der Erinnerung an Zeiten, in denen es ihnen noch leichter fiel, ihr Leben zu
gestalten. Weil sie aus der Vergangenheit leben, geht die Gegenwart schneller an ihnen vorbei. Die Zukunft ist für sie nicht mehr so wichtig. Das Denken
an die Zukunft konfrontiert sie mit dem eigenen Sterben. Und so leben sie lieber in der Vergangenheit. Sie ist der Quelle, aus dem sie schöpfen.
Es gibt allerdings auch alte Menschen, die sich darüber beklagen, dass nichts passiert. Sie sitzen einfach nur da und warten, dass
andere kommen, um ihre nachlassende Lebenskraft aufzufrischen und ihre Leere zu füllen. Wie ein alter Mensch die Zeit erlebt, hängt also immer davon ab,
wie er zu leben versteht. Wer nur von anderen her lebt, wer sich nur lebendig fühlt, wenn andere mit ihm sprechen und ihnbesuchen, dem
wird die Zeit leer und lange – und langweilig. Wer jedoch die Gegenwart anfüllt mit guten Erinnerungen an früher, dem geht die Zeit schnell
vorbei. Er wundert sich, dass das Jahr schon wieder vorbei ist, dass er ein Jahr älter geworden ist.
Andere alte Menschen leben ganz in der Gegenwart. Sie sind damit beschäftigt, diesen Tag gut zu bestehen. Sie haben ihre festen
Rituale, die ihrem Tag einen bestimmten Rhythmus geben. Und so geht ein Tag nach dem andern vorüber. Sie fühlen sich im Leben daheim, auch wenn es nicht
ständig etwas Neues bietet. Ja vielleicht gerade deswegen. Auch für solche Menschen geht die Zeit schneller vorüber als für die Kinder, die die Gegenwart
gerne überspringen möchten und für die sie deshalb umso länger dauert.
Wer bewusst lebt, dem wird die Zeit nicht lang
Unser Verhältnis zur Zeit ändert sich im Verlauf des Lebens. Kinder und alte Menschen haben auch ein anderes Verhältnis zur Zeit als
Menschen, die im Beruf stehen: Menschen im Beruf erleben ihre Zeit stark strukturiert. Der Beruf zwingt sie, täglich zur gleichen Zeit aufzustehen und zur
Arbeit zu gehen, wenn sie eine regelmäßige Arbeitszeit haben. Wenn ihre Arbeitszeit variiert zwischen Früh- und Spätschicht, dann wird ihre Zeit auch
durch die Arbeit bestimmt. Und ihr Erlebnis der Zeit ist davon abhängig, wie weit der Arbeitsrhythmus ihrem eigenen inneren Rhythmus entspricht. Ganz
gleich, wie gut es ihnen gelingt, sich auf den vorgegebenen Rhythmus einzulassen, ihre Zeit wird von außen bestimmt. Sie sehnen sich oft während der Woche
nach dem Wochenende, an dem sie sich erholen oder das tun können, worauf sie Lust haben. Ihr Zeitempfinden wird vor allem durch den Wechsel von
Arbeitszeit und Freizeit geprägt.
Kindern und alten Menschen fehlt diese Bestimmung der Zeit von außen. Doch Kinder haben durchaus ihren Rhythmus. In den ersten Jahren
achtet die Mutter darauf, dass sie das Kind immer zur gleichen Zeit stillt und ins Bett bringt. Sie hört auf den inneren Rhythmus des Kindes und versucht,
es an einen Rhythmus zu gewöhnen, von dem sie überzeugt ist, dass er fürdas Kind gut ist. Später wird das Kind dann vom Rhythmus des
Kindergartens und anschließend von dem der Schule bestimmt. Trotzdem gehen Kinder nicht so stark im vorgegebenen Rhythmus auf. Sie freuen sich auf das
Außergewöhnliche, auf Feste, auf Partys, auf die besonderen Erlebnisse.
Alte Menschen haben weniger Verpflichtungen von außen. Sie könnten morgens lange im Bett bleiben und einfach in den Tag hinein
leben. Doch viele ältere Menschen haben ihren Rhythmus so verinnerlicht, dass sie ihn auch im Alter weiter leben. Sie stehen immer um die gleiche Zeit
auf. Sie strukturieren ihren Tag so, dass es ihnen gut tut. Wer seinem Tag gar keinen Rhythmus gibt, der erlebt ihn oft als langweilig und leer. Wer
jedoch einen guten Rhythmus für sich gefunden hat, der lebt jeden Tag gleich, gleich erfüllt und nicht gleich langweilig. Er freut sich auf seinen
täglichen Spaziergang, oder auf das Hobby, dem er täglich bestimmte Stunden reserviert hat. Er steht nicht mehr unter Zeitdruck. So kann er sich ganz
seinem inneren Rhythmus überlassen.
So lange der alte Mensch noch gesund ist, kann er sich an
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