Leben Ist Jetzt
Lebenshälfte
nicht gelernt hat, zu kämpfen, an sich zu arbeiten, sich in die Konflikte des Lebens einzulassen, der tut sich schwer, in der zweiten Lebenshälfte
gelassen zu werden. Wer nicht wirklich gelebt hat, der kann auch sich und sein Leben nicht loslassen. Er hat nichts, was er loslassen kann. Das Loslassen
macht ihm Angst. Denn dann hat er nichts in der Hand. Er hat nichts anderes als das Äußere. Den inneren Reichtum hat er vernachlässigt. Wenn der äußere
Reichtum ihm genommen wird, steht er arm da. Davor haben viele MenschenAngst. Und so verbringen sie die zweite Lebenshälfte damit,
krampfhaft an ihrem Besitz festzuhalten, krampfhaft die Zeit auszufüllen, damit sie ihre eigene Bedeutsamkeit vor aller Welt beweisen. Sie stehen immer
unter Druck, sich und ihre Lebendigkeit und ihre Wichtigkeit zu beweisen. Weil sie nicht wirklich leben, müssen sie etwas vorweisen, um zu beweisen, dass
sie noch am Leben sind, dass mit ihnen noch zu rechnen ist.
Wer zu seinem Alter steht, der bleibt lebendig
Sich als Erwachsener zu verkleiden macht noch keinen Erwachsenen. Sich als Jugendlicher zu verkleiden macht nicht jung. Offensichtlich
gibt es Menschen, die sich schwer tun, sich ihrer jeweiligen Lebensphase und ihrer Wahrheit zu stellen. Wir beobachten heute einen Jugendwahn. Auch manche
alte Menschen verfallen diesem Wahn. Sie lassen sich von den Erwartungen der anderen bestimmen. Sie meinen, sie wären von der Gesellschaft nur akzeptiert,
wenn sie jung und dynamisch aussehen. C. G. Jung nennt das eine Pervertierung des Menschseins. Man vergisst den Wert des Alters und möchte ewig jung
bleiben. Doch dann reift man nicht, dann wird man nicht weise. Man lebt ständig gegen seine eigene Natur. Denn ob man will oder nicht, man wird doch
älter.
In einer Zeitung war kürzlich zu lesen, dass die Schönheitsoperationen in den USA in den letzten 10 Jahren um 450 % gestiegen sind. Im
Jahre 2007 wurden in den Vereinigten Staaten 11,7 Millionen medizinische Kosmetikbehandlungen vorgenommen. Auch Männer unterziehen sich zunehmend solchen
Operationen. Hintergrund dieser Tendenz: Falten und Tränensäcke kann man sich im Beruf nicht mehr leisten. Nur wer jung und hübsch ist, hat Aussicht auf
Erfolg. Hier werden Werte wie Erfolg und Jugendlichkeit absolut gesetzt. Die wahren Wertedes Menschseins, seine Würde, seine Weisheit,
seine Menschlichkeit zählen nicht mehr. Aber wer sich diesem Diktat der Jugendlichkeit beugt, verbiegt sich selbst. Er lebt als ein Gehetzter. Denn
ständig hetzt er seinem jugendlichen Aussehen nach, das auch bei noch so vielen Operationen nicht festzuhalten ist. Jemand hat angesichts der
hochgeschminkten Alten einmal gesagt, das sei „Kriegsbemalung“ – weil sie das Alter als ihren Feind ansehen.
Wer sich als jugendlich verkleidet, wird deshalb nicht jung. Im Gegenteil, er unterwirft sich dem Diktat der Jugend. Aber er wird
dabei immer älter. Er kann seine Jugendlichkeit nicht bewahren. Er könnte das, indem er gerne alt wird. Er läuft ihr vielmehr hinterher, weil er nicht alt
werden will. Wer zu seinem Alter steht, der bleibt lebendig. Und Lebendigkeit ist das eigentliche Kennzeichen von Jugendlichkeit. Der Psalmist lobt solch
einen Alten, indem er sagt, dass sein Baum frisch bleibt und ständig Frucht bringt. Aber es ist für den alttestamentlichen Weisen kein Alter, der die
Jugend kopiert, sondern einer, der im Gesetz des Herrn meditiert, der sich also auf die Aufgabe des Alters einlässt und sich Zeit nimmt zur Stille und
Meditation. Wer so lebt, bleibt letztlich lebendig. Er verfolgt wach das Zeitgeschehen und hat etwas zu sagen. Er muss sich nicht beweisen. Gerade in
seiner inneren Freiheit allen Erwartungen gegenüber bleibt er innerlich jung und lebendig.
Innere Jugend – eine Frage der Haltung
Es gibt geistig unbewegliche jüngere Menschen. Und es gibt alte Menschen, die voller Hoffnung, Begeisterung und innerem Leben und
Schwung sind. Es gibt eine innere Jugend. Diese innere Jugend ist eine Haltung des Menschen. Sie zeigt sich in innerer Beweglichkeit, in Lebendigkeit,
Wachheit und Offenheit. Auch Begeisterungsfähigkeit gehört zur Jugend. Wer sich schon als junger Mensch für nichts begeistern kann, wer einfach nur so
dahinlebt und nur dem Konsum verfallen ist, der lebt nicht wirklich, den kann man nicht als jung bezeichnen, auch wenn er achtzehn ist. Denn jung sein hat
mit Frische und Lebendigkeit zu tun. Wir alle
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