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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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Wohnzimmer, wo ich nun auf und ab marschiere und nachdenke. Das Anwaltsbüro liegt weit im Norden der Stadt. Mom wäre garantiert nicht einverstanden, wenn wir hinfahren, also müsste ich sie anlügen. Soll das vielleicht die einzige Lösung sein? Und wenn schon andere Leute in das Büro eingezogen sind? Vielleicht würden wir ja auch irgendwann passende Schlüssel finden, wenn wir weiter auf Flohmärkten und bei Garagenverkäufen
auf die Suche gingen. Aber würden wir sie rechtzeitig finden?
    Mir wird ein bisschen schwindlig, weil ich dauernd im Kreis laufe, darum setze ich mich aufs Sofa, das im Gegensatz zu unserem keine Löcher und keinen Namen hat. Ich mache meine Tief-durchatmen-Übung. Architektonisch gesehen sind unsere beiden Wohnungen identisch, nur spiegelverkehrt. Aber innen drin könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Bei Lizzy ist so gut wie alles beige. Ihr Vater sagt, das macht es einfacher, die Räume einzurichten. Ich muss zugeben, dass es eine beruhigendere Wirkung hat als all die wilden Farben bei uns.
    Lizzy kommt herein und setzt sich neben mich auf die Armlehne des Sofas. Sie zupft an einem losen Faden und sieht mich nicht an. »Entschuldigung«, sagt sie. »Es ist deine Kassette, und ich hab so getan, als gehörte sie mir auch. Mit all diesen Plänen, und indem ich dich durch die ganze Stadt gezerrt habe. Ich höre auf damit, und du kannst tun und lassen, was du willst.«
    Ihre Worte verblüffen mich dermaßen, dass ich mich erst einmal frage, ob ich mich verhört habe. Es hat irgendwie so geklungen, als wollte sie sich für ihr diktatorisches Gehabe entschuldigen. Ja, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie sich entschuldigt hat! Dabei hat sie, wenn ich mal ehrlich bin, gar keinen Grund dazu.
    »Äh, vielen Dank«, sage ich zögernd. »Aber wir machen das Ganze doch zusammen. Ich hab dich um Hilfe gebeten und du hast wirklich erstklassige Ideen beigesteuert.«
    »Ach, was soll’s«, sagt sie und boxt mich leicht gegen den Arm.
    Da ich immer gern den Weg des geringsten Widerstands
gehe, sage ich: »Lass uns wenigstens bei Harold anrufen, bevor wir zu seinem früheren Büro fahren. Vielleicht ist er noch da und sucht noch mal etwas gründlicher.«
    »So gefällt mir das«, sagt Lizzy. Sie springt von der Armlehne des Sofas und hält eine Hand für einen High-Five hoch. Ich erwidere ihn ziemlich schwach. Sie nimmt den Brief aus meinem Rucksack und greift zum Telefonhörer. Als sie zu wählen anfängt, erinnere ich sie daran, dass heute Samstag ist und wir vielleicht bis Montag warten müssen. Sie bringt mich zum Schweigen und hält das Telefon zwischen uns, sodass wir beide hören können.
    Es ist eine Bandansage. »Hier ist das Anwaltsbüro Folgard und Levine. Wir haben unsere Niederlassung in Manhattan geschlossen und werden im September auf Long Island wiedereröffnen, wenn wir von einer Safari in Afrika zurück sind. Halali.«
    »Halali?«, wiederholt Lizzy beim Auflegen. »Was für ein komischer Typ.«
    »Vielleicht ist ja Levine der Komische von den beiden«, schlage ich vor.
    »Wer ist Levine?«
    »Der andere Mann im Büro. Harold kann ebenso gut stinknormal sein.«
    Lizzy schüttelt den Kopf. »Wenn er mit deinen Eltern befreundet war, ist er vermutlich nicht normal.«
    Da ist etwas dran.
    »Wir müssen eine Liste aufstellen«, sagt sie, plötzlich ganz geschäftsmäßig. Sie holt sich einen Bleistift vom Kaffeetisch und schaut sich suchend nach etwas um, worauf sie schreiben kann. »Wir müssen festhalten, was wir bisher in Erfahrung gebracht
haben: Es wird außerordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich sein, zur Kassette passende Schlüssel zu finden. Es gibt keine andere Möglichkeit, in die Kassette einzudringen, jedenfalls nicht, ohne sie und höchstwahrscheinlich auch ihren Inhalt kaputtzumachen. Wir wissen, dass Harold nicht mehr in seinem Büro ist, sich womöglich sogar im Dschungel aufhält.« Sie hat eine alte Ausgabe der Post Office Weekly entdeckt und reißt die unbedruckte Rückseite ab. Sie beginnt zu kritzeln. »Wir brauchen Handschuhe, eine Taschenlampe, einen Schraubenzieher, einen Aktenkoffer, Süßigkeiten, einen Stadtplan und ein paar nette Sachen zum Anziehen.« Sie klopft sich ein paarmal mit dem Stift gegen die Stirn. »Was habe ich vergessen?«
    »Das Spülbecken?«, biete ich an.
    »Wozu brauchen wir ein Spülbecken?«
    »Wozu brauchen wir einen Aktenkoffer oder eine Taschenlampe?«, frage ich zurück. »Wir gehen da nicht mitten in der Nacht hin. Und

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