Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
zurückgezogen.«
»Gibt es irgendeine Möglichkeit, Kontakt zu ihnen aufzunehmen?«, will Lizzy wissen. »Vielleicht wüssten sie ja, wo diese Kassette herstammt.«
Der Mann schüttelt den Kopf. »Tut mir leid. Hab keine Ahnung.«
Lizzy und ich werfen uns einen enttäuschten Blick zu.
»Aber ihr dürft gerne meine Sammlung durchgehen und schauen, was ihr finden könnt«, sagt er und gibt mir die Kassette zurück. »Ihr seht ja, wir haben alles Mögliche hier.« Er zeigt nacheinander auf die einzelnen Behälter. »Da drüben habt ihr Eisenbahnschlüssel, dann die Gefängnisschlüssel, Gepäckschlüssel, Schlüssel zum Aufziehen von Taschenuhren, schließlich sind da die Autoschlüssel für den Ford T und für Ford-Edsel-Limousinen, und diese haben die Zimmer im vornehmen Seaview Motel aufgesperrt, bevor man zu diesen Plastikkarten übergegangen ist.« Er schüttelt sich leicht, als er die Plastikkarten erwähnt.
»Und hier«, sagt er und deutet auf ein langes Brett, das senkrecht am Ende des Tischs befestigt ist, »hier haben wir unseren ganzen Stolz.« Auf dem Brett sind in mehreren Reihen Haken angebracht, an denen sehr alt aussehende Schlüssel hängen. Die meisten sind verrostet und ein paar in der untersten Reihe sind über fünfzehn Zentimeter lang. Sie sehen wie große Dietriche aus. Der Mann erzählt uns, dass er sie aus der ganzen Welt zusammengetragen hat und dass einige mehrere hundert Jahre alt sind. Sie sind echt beeindruckend, und ich kann verstehen, warum sie sein ganzer Stolz sind.
Lizzy ist die ganze Zeit ungeduldig von einem Fuß auf den anderen getreten. Schließlich platzt sie heraus: »Haben Sie denn überhaupt keine normalen Schlüssel?«
Ich zucke zusammen. Lizzy muss ernstlich an ihren Umgangsformen arbeiten. Die alte Frau stemmt sich aus ihrem Schaukelstuhl hoch und sagt: »Na komm, George. Zeig den Kindern, was sie suchen.«
»Ja, Liebes«, sagt der Mann und zwinkert mir zu. Er nimmt einen kleinen Behälter in die Hand, der zwischen den Uhren-Aufziehschlüsseln und den Gepäckschlüsseln gestanden hat, und gibt ihn Lizzy. »Versucht es mit denen«, sagt er. »Es sind die, die in keine der anderen Kategorien so richtig passen.«
»Wir bringen sie gleich zurück«, verspricht Lizzy und drückt den Behälter fest an ihre Brust.
»Ihr seht vertrauenswürdig aus«, sagt die Frau. »Wir sind den ganzen Tag hier.«
Lizzy strahlt, weil sie vertrauenswürdig genannt wurde. Sie bedankt sich und rennt zur nächstgelegenen Bank. Ich schnappe mir meine Kassette vom Tisch und muss im Laufschritt hinter Lizzy herjoggen, um sie einzuholen.
Als ich mich neben ihr auf die Bank setze, bemerke ich, dass sie die Stirn in Falten gelegt hat, als würde sie heftig über etwas nachdenken. »Stimmt was nicht?«, frage ich.
»Ich weiß nicht«, sagt sie und deutet zu dem Tisch hinüber, von dem wir gerade gekommen sind. »All diese Schlüssel.«
»Was ist mit ihnen?«
»Sie sind allesamt dazu gedacht, etwas Spezielles zu öffnen, richtig? Zum Beispiel ein ganz bestimmtes Schloss oder eine bestimmte Tür oder einen Aktenkoffer oder so.«
»Wahrscheinlich.«
»Und jetzt stell dir mal vor, wie es ist, wenn überall auf der Welt Leute – Leute wie wir – ein Schloss haben, aber den Schlüssel nicht finden können. Findest du nicht auch, dass das irgendwie traurig ist?«
Hin und wieder sagt Lizzy etwas, das mich wirklich ins Grübeln bringt. Ich verstehe, was sie meint. Zwei Teile eines Ganzen, getrennt voneinander und verloren. »Wie Schwäne«, sage ich.
»Hä?«
»Na ja, es ist wie bei den Schwänen, die paaren sich doch auf Lebenszeit, und wenn dann einer von ihnen stirbt, schwimmt der andere sein ganzes restliches Leben allein herum. Mit Schlüsseln ist es genauso. Und mit Dads Kassette ist es so. Es gibt nur einen passenden Schlüssel. Das heißt, in unserem Fall vier.«
Lizzy denkt einen Augenblick darüber nach, dann sagt sie: »Können wir die Schwäne vergessen und einfach mal diese Schlüssel ausprobieren?«
»Du bist diejenige, die davon angefangen hat«, stelle ich klar.
»Ich habe nicht von den Schwänen angefangen!«
»Du hast bloß keine Lust, was Neues zu lernen«, behaupte ich.
»Ich finde es bloß sinnlos, eine Menge unnütze Dinge zu wissen.«
Nein, ich werde mich nicht wieder auf diese Debatte einlassen. »Lass uns einfach die Schlüssel ausprobieren«, sage ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
Wir haben etwa die Hälfte des Behälters hinter uns, als etwas
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