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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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bis zu diesem Punkt?«
    Wir nicken. Tatsächlich bin ich völlig gebannt von seiner Erzählung. Selbst von dem Teil mit den Essiggurken.
    »Ozzy sagte den Kindern, er werde ihnen abkaufen, was sie anboten, aber unter einer Bedingung. Er entwarf ein eigenes Formular für sie, in dem sie erläutern mussten, wo der jeweilige Gegenstand herkam und warum es für sie notwendig war, ihn zu verkaufen. Er ließ sie vor der Schreibmaschine Platz nehmen, und selbst wenn sie den ganzen Tag dafür brauchten, sie schrieben ihre Geschichten auf. Ozzy maßte sich nie ein Urteil über die Motive der Kinder an und er bezahlte immer einen angemessenen Preis. Dass sie das Formular ausfüllen mussten, schreckte alle bis auf die Entschlossensten ab.«
    »Aber wieso hat Ozzy sich danach nicht umgedreht und diese Dinge an den Nächsten verkauft?«, frage ich. »Ist das nicht der Sinn und Zweck des Pfandleihgeschäfts?«
    Mr Oswald nickt. »In der Tat. Aber wenn er diesen jungen Menschen aus der Klemme half, ging es nie ums Geld. Ozzy bewahrte die Gegenstände und die Briefe in einem besonderen Wandschrank ganz hinten in seinem Lagerraum auf, und keiner wusste davon, nicht einmal mein eigener Vater, der das Geschäft dreißig Jahre lang geleitet hat.«

    »Denken Sie, er wollte den Kindern die Sachen zurückgeben?«, forsche ich nach.
    »Ich wollte, ich wüsste es«, erwidert Mr Oswald und wirft einen Blick zu einem alten Schwarz-Weiß-Foto auf seinem Schreibtisch hinüber.
    Ich hatte dieses Foto vorher nicht beachtet, aber jetzt beuge ich mich vor, um es genau zu betrachten. Es zeigt einen Mann mittleren Alters, der einen Fisch und eine Angelrute emporhält und dabei neben einem Holzschild posiert, auf dem DU SOLLTEST MAL DEN SEHEN, DER MIR ENTWISCHT IST geschrieben steht.
    »Der alte Ozzy?«, frage ich.
    Mr Oswald nickt. »Ein großer Angler in seinen jungen Jahren.«
    »Aber wie haben Sie diese Leute nach so vielen Jahren gefunden?«, fragt Lizzy.
    »Ich habe einen guten Detektiv angeheuert. Bei den vielen Informationen, die über das Internet erhältlich sind, war es nicht sehr schwierig, sogar mehr herauszufinden, als wir wissen wollten.«
    »Wem erzählen Sie das«, murmle ich.
    Beide drehen sich zu mir um und schauen mich an. Ich nehme die Lampe und sage: »Und wie lautet die Geschichte von diesem Mann?«
    Mr Oswald schaut auf seine Uhr. »Ich hatte nicht vor, heute Morgen so lange hierzubleiben. Ich habe keine Zeit mehr, die Lampe einzupacken. Sie können sie doch tragen, nicht wahr?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, greift er in die oberste Schublade seines Tischs und zieht einen Umschlag heraus.
Er hält ihn mir entgegen. Es überrascht mich nicht, darauf in Druckbuchstaben den Namen von Simon Rudolph in derselben sauberen Handschrift wie auf dem anderen Umschlag zu lesen. Ich schiebe den Umschlag in meine Gesäßtasche.
    Bevor ich Mr Oswald erinnern kann, dass er uns noch nichts über Simon Rudolph beziehungsweise seine Lampe erzählt hat, erscheint James und übergibt Mr Oswald seine Pfeife und eine Zeitung.
    »Ich habe den Wagen für die Kinder vor dem Haus bereitgestellt, Sir«, sagt James.
    »Jugendliche«, sagt Lizzy im Flüsterton. »So gut wie«, ergänzt sie.
    »Gut, gut«, sagt Mr Oswald zu James. Er nimmt einen Post-it-Zettel von seinem Schreibtisch und reicht ihn James. »Draußen an Mr Rudolphs Tür befindet sich keine Hausnummer«, warnt er uns alle. »Mr Rudolph ist ein wenig, nun, sagen wir, exzentrisch. Bringen Sie Ihre Notizhefte zu unserem nächsten Treffen mit. Die kommenden beiden Tage bin ich nicht in der Stadt, ich sehe Sie also am Freitag wieder. Vielen Dank im Voraus für einen sorgfältig erledigten Auftrag.« Mr Oswald verlässt den Raum, gefolgt von James.
    Lizzy und ich sind allein. Keiner von uns macht Anstalten, nach der Lampe zu greifen. »Öh, wahrscheinlich sollten wir auch gehen?«, schlage ich vor.
    »Das ist wieder genau dasselbe wie beim letzten Mal«, mault Lizzy, aber sie nimmt die Lampe. »Wir wissen überhaupt nichts über diesen Mann. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt.«
    Als wir zur Haustür gehen, sage ich leise: »Es ist nicht genau dasselbe wie beim letzten Mal.«
    »Ich weiß, ich weiß«, antwortet Lizzy und imitiert dann mehr
schlecht als recht Mr Oswalds Stimme. »Weil niemals ein Ding genau dem anderen gleicht.«
    »Nein. Ich meine, diesmal wissen wir, was es mit dem Umschlag auf sich hat.«
    Lizzy bleibt stehen und starrt mich an. »Habe ich tatsächlich gerade gehört, was

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