Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
tut mir bloß das Hirn weh.« Damit dreht sie sich zum Autofenster und schaut wieder in den Regen hinaus.
In Mr Rudolphs Straße kann man nicht ohne eine spezielle Genehmigung parken, also muss James den Wagen auf einem bewachten Parkplatz zwei Straßen weiter abstellen. Er kostet zwanzig Dollar die Stunde! James murmelt irgendwas von Straßenraub und Verbraucherzentrale und händigt dem Aufseher widerwillig die Schlüssel aus. Der Mann mustert den Wagen mit hungrigen Blicken, während wir aussteigen. Ich wette, er bekommt nicht jeden Tag eine Limousine wie diese hier zum Einparken. Als wir in Richtung Straße gehen, flüstere ich James zu, dass er lieber den Kilometerzähler ablesen soll, um sicher zu sein, dass der Typ den Wagen nicht für eine Spritztour nimmt.
»Sie haben zu viele Filme gesehen«, sagt James, aber er rennt trotzdem zum Wagen zurück mit der Behauptung, er hätte etwas vergessen.
Zum Glück ist das Unwetter so schnell vorbei, wie es angefangen hat, ich brauche mich also nicht über mich selbst zu ärgern, weil ich nicht darauf eingestellt war. Ich mache mir im Geist eine Notiz, dass ich von jetzt an einen Regenschirm in meinem Rucksack mitnehmen will.
Leichter Dampf steigt vom erhitzten Gehsteig auf, als wir die Häuserzeile entlanggehen. Er verleiht der Umgebung einen unheimlichen Schimmer. Lizzy hat die Aufgabe des
Lampetragens an mich weitergegeben, und ich bemerke, dass die Lampe bewundernde Blicke von Passanten erntet. Sie ist wirklich schön, auch wenn ich mich bisher nie mit Lampen befasst habe. Obwohl die Sonne nicht scheint, sieht es so aus, als würde die Lampe von innen heraus leuchten. Hätte sie mir gehört, ich hätte sie nicht als Pfand versetzen wollen.
James liest die Adresse laut vor. Nicht nur Mr Rudolph hat keine Hausnummer an seiner Tür, die meisten seiner Nachbarn haben ebenso wenig eine. An der ersten Türe, an der wir es versuchen, antwortet uns niemand. Die zweite wird von einem kleinen Jungen im Fußballdress geöffnet; er sagt höhnisch grinsend: »Mit Fremden rede ich nicht!«, bevor er uns die Tür vor der Nase zuschlägt. James murmelt etwas davon, dass dies der Grund ist, weshalb er keine Kinder hat, und drückt anschließend die Klingel an der nächsten Tür.
»Guten Morgen!«, ertönt eine Männerstimme. »Womit kann ich Ihnen heute behilflich sein?«
James rückt näher an die Gegensprechanlage heran und sagt: »Wir sind auf der Suche nach einem Mr Simon Rudolph. Mr Oswald schickt uns.«
»Oh ja«, dringt die Stimme glucksend aus dem Metallkästchen. »Der geheimnisvolle Mr Oswald, der mir nicht verraten wollte, welcher Art seine Beziehung zu mir ist. Ganz egal. Ich empfange immer mit Vergnügen Gäste in meinem Haus.« Wenige Sekunden später summt der Türöffner und James drückt die Tür auf.
Lizzy und ich rühren uns nicht vom Fleck.
»Was ist jetzt wieder nicht in Ordnung?«, fragt James.
»Ich glaube, er ist nicht der Richtige«, erwidere ich.
Lizzy bestätigt mit einem Kopfnicken und zieht den Brief aus ihrer Hosentasche.
»Was veranlasst Sie zu dieser Meinung?«, erkundigt sich James.
»Er klingt kein bisschen wie in diesem Brief«, sagt Lizzy. »Der Mann hier klingt, als hätte er ein paar Glückspillen genommen. Unser Typ war ein missratenes Ekelpaket.«
»Menschen verändern sich«, sagt James ärgerlich. »Das war vor beinahe fünfzig Jahren, du meine Güte. Er ist der Richtige. Er wartet auf uns.«
»Na, von mir aus«, sagt Lizzy und schiebt sich an ihm vorbei ins Haus. »Aber falls wir in irgendeine Sekte entführt werden, wird mein Vater sehr böse auf Sie sein.«
Wir quälen uns drei Treppenabsätze hoch, bis wir an der richtigen Tür sind. Sie steht einen Spalt offen. James flüstert: »Ich bleibe direkt davor stehen.«
»Sind Sie sicher?«, flüstere ich zurück und werfe einen nervösen Blick auf die Tür.
»Sie werden problemlos zurechtkommen«, beharrt er und tritt ein paar Schritte zurück.
»Hoffen wir das Beste«, murmelt Lizzy.
Zögernd mache ich die Tür ein paar Zentimeter weiter auf. »Mr Rudolph?« Ein paar Sekunden vergehen und ich höre keinerlei Geräusche von drinnen. Ich werfe Lizzy einen Blick zu, sie schaut ebenfalls unbehaglich drein. Dann greift sie an mir vorbei und öffnet die Tür vollständig. Wir starren in einen großen, nahezu leeren Raum mit weißen Wänden und Holzfußboden. Es gibt ein Fenster, einen Tisch, eine kleine Plastiklampe, einen Holzstuhl mit Rückenlehne, ein großes, gerahmtes
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