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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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würde! Gut, vielleicht nicht das mit der Mystik. Ich bin doch eher der wissenschaftliche Typ.
    »Hast du die alle gelesen?«, erkundige ich mich.
    »Zweimal! Um sich unsichtbar zu machen, muss man das Wesen der Wirklichkeit verstehen. Also pass auf, es gibt keine objektive Wirklichkeit, ja? Im Sinne einer tatsächlichen, konkreten Wirklichkeit.« Zuerst erzählt mir Mr Rudolph, dass das Wort Sinn keinen wirklichen Sinn hat, und jetzt das? Zweifelnd frage ich: »In welcher Hinsicht soll die Wirklichkeit nicht wirklich sein?«
    »Alles, was wir für wirklich halten, nehmen wir lediglich über unsere Sinne wahr«, erklärt Rick geduldig. »Die Geräusche,
die wir hören, sind bloß Schwingungen in der Luft; Farben sind elektromagnetische Strahlung; dein Geschmackssinn rührt von Molekülen her, die zu einem speziellen Bereich auf deiner Zunge passen. Mann, wenn unsere Augen Zugang zum Infrarot-Bereich des Spektrums hätten, wäre der Himmel grün und die Bäume rot! Es gibt Tiere, die haben eine völlig andere Art zu sehen als wir, woher wollen wir also wissen, wie sie Farben wahrnehmen? Nichts ist tatsächlich, wie wir es wahrnehmen. Kapiert?«
    Wieder nicke ich, völlig verblüfft von dem, was er mir da erzählt. Wenn der Himmel nicht zuverlässig blau ist, welche Hoffnung habe ich dann, den Sinn des Lebens herauszufinden? Wie kann ich den Sinn des Lebens herausfinden in einer Welt, in der der Himmel ebenso gut grün sein könnte? Oder orangefarben?
    Rick redet weiter. »Materie – das, woraus wir alle bestehen – ist in Wirklichkeit eine Energiewelle, nur in anderer Form. Die Elektronen, die in uns rumsausen, sind gleichzeitig überall und nirgends. Schau dir mal deine Hand an.«
    Ich drehe meine rechte Hand um und starre auf den Handteller.
    »Wenn du ein Rasterkraftmikroskop hättest, könntest du die Atome sehen, die die Haut auf deiner Hand bilden. Im Zentrum jedes Atoms ist ein Kern mit Neutronen und Protonen und dann Elektronen, oder?«
    »Ich weiß nicht so genau«, muss ich zugeben. »Chemie haben wir erst nächstes Jahr.«
    »Glaub mir, es ist so. Aber das wirklich Schräge ist, dass die Atome ansonsten, zu weiteren neunundneunzig-Kommaneunundneunzig Prozent, leer sind. Zwischen jedem Atom
und dem nächsten ist ein Leerraum. Uns – und genauso alles andere – hält buchstäblich nichts zusammen.«
    Ich schaue so intensiv auf meine Hand, dass meine Augen zu brennen anfangen.
    »Wenn dir klar wird, dass du lediglich eine Energiewelle bist«, sagt Rick mit einer Miene, die besagt, dass jetzt der Clou kommt, »dann kannst du dich auch unsichtbar machen.«
    Ich reiße die Augen auf. »Wann kann ich anfangen?«
    »Jetzt sofort«, sagt Rick. »Stell dich ungefähr dreißig Zentimeter vor dem Poster auf. Schau konzentriert auf die Mitte des Musters, aber entspann deine Augen dabei so, dass du ein bisschen schielst. Nicke mit dem Kopf, wenn du so weit bist.«
    Ich versuche, die Augen zu entspannen, aber jedes Mal wenn ich’s tue, fangen sie an zuzufallen. Zuletzt schaue ich einfach auf das Poster, als würde ich etwas viel weiter Entferntes ansehen, und es scheint zu funktionieren. Ich nicke Rick zu.
    »Astrein«, sagt er. »Jetzt stell dir ein weißes Licht vor und dich selbst mitten in diesem Licht. Das weiße Licht wird total hell. Es fängt an, die Dinge in meinem Zimmer zu absorbieren.«
    »Echt?«, frage ich.
    »Ja. Nicht reden! Jetzt schau dir selbst zu, wie du im Inneren des Lichts verschwimmst, so lange, bis du überhaupt kein Licht mehr siehst.«
    Mein Kopf wird immer leichter, während ich mir das weiße Licht um mich herum vorstelle. Es ist, als läge die ganze Welt in diesem Poster, und die Ränder des Musters beginnen, sich aufzulösen.
    »Funktioniert es?«, frage ich aufgeregt. »Bin ich schon unsichtbar?«

    Rick schüttelt den Kopf. »Nö. Ich sehe dich noch. Versuch es weiter.«
    Ich starre noch eine Weile weiter, bis ich Angst kriege, meine Augen könnten auf Dauer schielen. Mit einem tiefen Seufzer wende ich mich widerwillig vom Poster ab. »Wie lange hat es gedauert, bis du das geschafft hattest?«
    »Ich?«, wiederholt er erstaunt. »Ich hab das nie ernsthaft probiert.«
    Ich sehe ihn misstrauisch an.
    »Hey, ich hab nie behauptet, ich könnte es, ich hab nur gesagt, ich könnte dir zeigen, wie es geht.«
    »Ich wette, du hast nicht mal die Bücher gelesen!«
    Er zuckt die Achseln. »Gelesen, überflogen, durchgeblättert, kommt auf dasselbe raus.«
    Schnell ziehe ich meine Sneakers an,

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