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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Mass
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Lizzy an meinem Shirt zupft. Ich brauche nur eine Sekunde, um festzustellen, dass ich als Einziger noch stehe. Eilig setze ich mich hin.
    Der Geistliche fängt an zu sprechen. Er begrüßt alle altbekannten Gesichter und auch die neuen. Dann sagt er: »Die Menschheit ist das Auge, durch das der Geist Gottes seine oder ihre Schöpfung betrachtet. Lasst uns heute, an diesem wunderschönen Sonntagmorgen, Gefäße sein, durch die wir das Unendliche sehen können. Dort nämlich ruht unser wahres Wesen. Wir sind Geistwesen, die auch ein irdisches Leben besitzen. Ist unser Leben hier vorüber, kehren wir zum Ursprung zurück. Was ist Leben? Leben ist Liebe. Begeht nicht den Fehler, zu glauben, Lieben sei einfach; das stimmt nicht. Wir müssen uns selbst lieben, nicht nur andere Menschen. Wir müssen wach sein. Schlafwandelt nicht durch euer Leben. Genießt es in vollen Zügen, denn keiner kommt hier mit dem Leben davon.«
    Über den letzten Satz lachen die Leute ein bisschen. Lizzy beugt sich zu mir und flüstert: »Wow, das war aber tiefsinnig.«
    Ich nicke. Ich denke nach über das, was er über die Rückkehr zum Ursprung gesagt hat. Ist mein Vater jetzt dort? Am Ursprung? So wie ich mich vor alledem nie wirklich mit dem
Sinn des Lebens befasst habe, habe ich auch nie darüber nachgedacht, was nach dem Tod mit einem passiert. Selbst als Lizzy mich letzte Woche dazu brachte, an der Séance teilzunehmen, habe ich mich nicht ernstlich damit auseinandergesetzt. Werden wir wirklich alle wiedergeboren, wie Rick behauptet hat? Existieren Himmel und Hölle wirklich, sind sie nicht nur etwas, womit sie einen in der Sonntagsschule erschrecken? Oder ist das Ende einfach das Ende, wie ein leerer Bildschirm, aus und vorbei, danke für die Mitfahrgelegenheit? Ich möchte wetten, der Sinn des Sterbens hängt mit dem Sinn des Lebens zusammen. Darauf hätte ich tatsächlich auch früher kommen können.
    Der Geistliche spricht immer noch. »Nun ist es wieder an der Zeit, zu heilen. Alle, die daran teilnehmen möchten, suchen sich bitte in der Stuhlreihe auf der linken Seite einen Platz. Unsere Heilerinnen und Heiler erschließen die Lebenskraft des Universums. Sie können jedem helfen, der körperlich, geistig oder seelisch in Not ist. Sie erwarten euch.« Er weist auf eine Ansammlung von etwa zehn Stühlen, die abseits von den anderen aufgestellt sind. Hinter jedem Stuhl steht ein Mann oder eine Frau. Allmählich erheben sich die Leute aus der Gemeinde und gehen zu ihnen hinüber.
    Ich sehe zu, wie die Stühle einer nach dem anderen belegt werden. Dann wende ich mich zu Lizzy hin, weil ich wissen will, was sie von dem Ganzen hält – aber sie ist nicht an ihrem Platz, das kann doch wohl nicht wahr sein! Hat dieses Gerede vom Heilen ihr den Rest gegeben, und sie ist abgehauen, ohne mir Bescheid zu sagen? Ich schaue hektisch um mich und entdecke sie schließlich am allerletzten Ort, wo ich sie gesucht hätte – auf einem der Stühle, der vor einer Heilerin steht. Mir
bleibt der Mund offen stehen. Die Heilerin ist dem Aussehen nach um die sechzig, graubraunes Haar hängt ihr bis zur Taille herunter. Sie hat ihre Hände auf Lizzys Schultern gelegt und spricht ihr leise etwas ins Ohr. Lizzy hat die Augen geschlossen und ihre Hände sind im Schoß gefaltet. Ich blinzle zweimal, um sicher zu sein, dass ich keine Wahnvorstellungen habe.
    Unmittelbar darauf bewegt die Frau ihre Hände von Lizzys Schultern zu ihrem Scheitel und wieder zurück zu den Schultern. Entlang der gesamten Stuhlreihe tun die Heiler das Gleiche. Einige haben ihre Augen ebenfalls geschlossen. Eine Menschenschlange wartet darauf, dass sie an die Reihe kommt. Einer nach dem anderen steht von seinem Stuhl auf, bedankt sich bei dem Heiler oder der Heilerin und jemand anders nimmt den Platz ein. Ich wüsste für mein Leben gern, was Lizzy dort empfindet. Ganz zu schweigen davon, warum sie überhaupt hingegangen ist! Bemüht, jedes Geräusch zu vermeiden, packe ich vorsichtig die Ecke eines meiner Erdnussbuttersandwichs aus und knabbere daran, während ich fasziniert zuschaue.
    Endlich ist auch Lizzy so weit, dass sie die Augen aufschlägt und ihrer Heilerin dankt. Schnell steuert sie zwischen den Sitzreihen hindurch auf mich zu. »Komm«, sagt sie und packt mich beim Arm, was dazu führt, dass ich mein Sandwich fallen lasse. Zum Glück ist es noch weitgehend eingewickelt. Ich bücke mich, um es vom Boden aufzulesen.
    »Komm! Lass uns gehen!«, sagt Lizzy, und ihrer Stimme ist

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