Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
nach dem Schmerzmittel, drehe mich zur Seite, stöhne auf. Wie mag es erst sein, wenn eine Rippe tatsächlich gebrochen ist? Ich nehme das Schmerzmittel mit einem weiteren Schluck Whiskey und bette mich wieder so sanft wie möglich. Ich muss nachdenken. Was, wenn die Nachricht nicht in Oskars Wohnung, sondern in meiner gelandet ist? Ich sollte Carmen anrufen. In jedem Fall. Schon so lange nichts von ihr gehört. Ob sie an Weis und unserem Fall das Interesse verloren hat? Oder ist sie allzu ehrgeizig und will sich erst dann melden, wenn sie interessante Neuigkeiten hat? Ich sollte zum Telefon. Gleich.
Ich fühle mich wie durch eine Recyclinganlage geschossen. Nur dass nicht viel Wiederverwertbares herausgekommen ist. Es ist neun Uhr früh. Ich habe so in etwa vierzehn Stunden geschlafen. Traumlos. Zumindest kann ich mich an keinen Traum erinnern. Ist wohl auch besser so. Ich rapple mich auf, jede einzelne Rippe scheint in meine Lunge zu stechen. Dafür sind die dumpfen Kopfschmerzen vergangen. Wird ja schon wieder. Ich muss nachsehen, ob inzwischen irgendeine Mitteilung gekommen ist, die etwas mit meinem Unfall zu tun haben könnte. Computer. Mailbox. Mobiltelefon. Anrufbeantworter. Nichts. Oskar hat zweimal versucht, mich zu erreichen. Ich habe kein Telefon gehört. Er kommt heute zurück. Oje. Er wird nicht erfreut sein über meinen Zustand. Unsinn, er wird mich pflegen. Oje. Wenn mir schon nach Pflege ist … Natürlich freue ich mich auf Oskar. Ich rufe ihn zurück. Von meinem Autounfall erzähle ich ihm vorläufig aber nichts. Muss ihn ja nicht früher als notwendig beunruhigen. Er soll sich auf seinen Klienten mit dem deutsch-österreichischen Waschmittelunternehmen konzentrieren. Gewaschen wird zum Glück immer, auch in Zeiten der Krise.
Badezimmer. Ich schaue so vorsichtig in den Spiegel, als könnte schon das wehtun. Ein blau-grünes Band geht quer über meinen Brustkorb. Da hat mich der Gurt gehalten. Ich dusche vorsichtig, als könnte mir auch noch die Haut abgehen. Ich ziehe mich vorsichtig an und fühle mich schon ein wenig besser. Vesna. Vielleicht kann sie parallel zu den Versicherungsleuten ein wenig nachforschen, was gestern wirklich geschehen ist?
„Warum du hast mich nicht am Abend angerufen?“, fragt Vesna besorgt.
„Da hab ich geschlafen.“
„Ist sowieso das Beste wahrscheinlich. Und du hast den Mann nicht gesehen?“
Ich seufze. Ich bin mir inzwischen gar nicht mehr so sicher, ob es überhaupt ein Mann war.
„Wir werden auf den Tatort fahren und rekonstruieren. Vielleicht fallt dir dann wieder etwas ein. Und ich besorge Zeugenaussagen, das ist kein Problem.“
Ich sollte in der Redaktion anrufen und mich krank melden.
„Hat du übrigens Carmen gesprochen?“, fährt Vesna fort.
„Ich bin eingeschlafen“, murmle ich. „Wenn der Autounfall kein Zufall war: Vielleicht hat jemand eine Drohung oder so zu meiner alten Wohnung geschickt.“
„Das ist möglich“, überlegt Vesna. „Ich mache mir Sorgen um Carmen. Wir haben vorgestern zum letzten Mal etwas gehört von ihr. Sie wollte uns laufend Bericht geben.“
„Sie ist ziemlich eigenständig, haben wir ja schon festgestellt“, meine ich. Aber es stimmt schon. Es ist seltsam, ich hab es ja einige Male probiert, sie ist nie ans Telefon gegangen. Kann sie es verloren haben?
„Sie ist nicht erreichbar“, sagt Vesna, als könnte sie meine Gedanken lesen. „Nicht am Mobiltelefon und nicht in der Wohnung.“
„Vielleicht will sie nicht an mein Festnetztelefon gehen“, überlege ich. Ich wollte den Anschluss längst abmelden, habe aber immer wieder darauf vergessen.
„Ich habe sogar in der Nacht angerufen“, erzählt Vesna.
„Vielleicht hat sie einen Freund“, überlege ich. Sie ist jung, sie ist hübsch, das geht oft rasch. Solange es nicht Weis ist …
„Und wenn es Weis ist?“, fragt Vesna in dieser Sekunde.
„Sicher nicht“, antworte ich erschrocken.
„Wir treffen uns in deiner Wohnung. Für alle Fälle“, sagt Vesna. „Vorausgesetzt, du schaffst das in deinem Zustand.“
„Geht schon.“ Besser, etwas zu tun, als herumzuliegen und die eigenen Rippen zu bedauern.
Ich nehme ein Taxi, die U-Bahn will ich meinem Brustkorb nicht zumuten. Vesna steht vor der Eingangstür und wartet auf mich.
„Bei Gegensprechanlage hat sich niemand gemeldet“, sagt sie und runzelt die Stirn.
Aufstieg zu meiner Wohnung mit Serienrippenprellung. Ich gehe es langsamer an als sonst.
„Bist aber nicht ganz fit, oder?“,
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