Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
dieser Situation sagen? Oskar wird sie umarmen. Oskar hasst mich. Carmen hat einiges getan, von dem sie uns nicht erzählt hat. Er sollte es wissen. Er wird mir nicht zuhören. Mein Mobiltelefon läutet. Oskar? Ich fingere es aufgeregt aus der Tasche.
„Frau Valensky?“, sagt eine Frauenstimme.
„Am Apparat.“
„Hier ist das Büro von Denise Stiller.“
Ich packe den Hörer fester.
„Ich soll Ihnen von Frau Stiller ausrichten, dass alles eine große Verwechslung war. Sie ist nicht die Mutter von dieser Carmen, die auch Sie gesucht haben. Wir konnten unter Mithilfe der Polizei alles aufklären.“
„Wer ist Carmen dann?“, rufe ich.
„Tut mir leid. Ich hoffe, ich konnte Ihnen helfen. Auf Wiederhören.“
Aufgelegt. Ich starre auf mein Telefon. Oskar wird schon davon wissen. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich darf nicht noch einen Fehler machen. Ich muss zu Oskar. Ich muss versuchen, ihn um Vergebung zu bitten. Ob er mir eher verzeiht, wenn Carmen nicht seine Tochter ist? Ich muss ihm vom Geständnis der Verlegerin erzählen. Ich habe vieles, was ich ihm erzählen kann. Nur dumm, dass gestern Redaktionsschluss war. – Mira, bist du noch zu retten? Ich werde weiter nach Carmen suchen. Oskars Tochter oder nicht, eigentlich macht es nicht viel Unterschied. Wir haben diese junge Frau in die Sache hineingehetzt.
Ich stehe vor der Tür zu Oskars Kanzlei. Ich habe beschlossen, es einfach zu probieren. Ich läute. Die schwere, hohe Eichentür geht mit einem Summen auf. So oft bin ich schon durch den holzgetäfelten Gang gegangen. Ist es ein gutes Zeichen, dass man mich hereingelassen hat? Die Eingangstür hat Videoüberwachung. Ich gehe ins großzügige Empfangszimmer. Hohe Fenster, warme Farben, bequeme Sitzgruppe. Und Oskars Drachen, auch Sekretärin genannt.
„Herr Doktor Kellerfreund ist besetzt“, sagt sie denn auch und starrt mich neugierig an. Wie viel weiß sie?
„Ich werde warten.“
„Es kann länger dauern.“
„Das macht nichts.“
„Weiß er, dass Sie hier sind?“
„Es ist eine Überraschung.“
„Herr Doktor Kellerfreund mag keine Überraschungen.“
Ich zucke mit den Schultern und setze mich auf die Lederbank. Mit einem Mal bin ich unendlich müde. Ich habe nicht geschlafen. Oder nur wenig. Auf einer Parkbank vor dem Belvedere. Ich muss durchhalten. Ich darf mich da jetzt nicht niederlegen. Das gönne ich dieser Schreckschraube nicht.
Irgendwann kommt Oskar mit einer Frau aus seinem Zimmer. Eine Klientin? Sie ist einfach gekleidet. Cirka in meinem Alter, groß, knochig, halblange blond gefärbte Haare. Keine Wirtschaftsmagnatin. Oskar hat nicht nur Reiche als Klienten. Die Frau wirkt, als hätte sie geweint. Oskar hält ihren Arm. Besorgt. Ich stehe auf und die beiden starren mich an. Ich bringe kein Wort heraus, dann sage ich zu Oskar: „Entschuldigung.“ Oskar schaut mich an. Falten, ich hab diese Falten um seinen Mund noch nie gesehen.
„Das ist Carmens Mutter“, sagt er.
Wie bitte? Was? Das ist nicht Denise Stiller. Aber ihr Büro hat mir ja auch mitgeteilt, dass sie nicht die Mutter von Carmen ist. Wer ist dann diese Frau? „Sie sind nicht Denise Stiller“, sage ich langsam.
Die Frau schüttelt den Kopf. „Ich bin Denise Waldner. Sieht so aus, als hätte sich Carmen für mich geschämt.“
„Das darfst du nicht denken“, sagt Oskar und tätschelt ihr fürsorglich die Hand. Hat er mit dieser Denise vor siebenundzwanzig Jahren …
Oskar sieht mich an. „Carmen hat eine Freundin, sie haben immer darüber gelacht, dass sie beide Carmen heißen und ihre Mütter beide Denise. Nur dass die Denise von Carmens Freundin die Besitzerin der Werkzeugfabrik Stiller ist. Und …“
„… und ich nur Servierkraft“, ergänzt Carmens Mutter. „Carmen muss bei mir Unterlagen über ihren Vater gefunden haben, viel gibt es nicht, ich wollte ihr nie davon erzählen, wozu auch? Sie hat mir nicht gesagt, was sie herausgefunden hat. Sie wollte wohl auf eigene Faust ihren Vater kennenlernen und ist nach Wien gefahren. So ist sie.“
Ich kapier es nicht ganz. „Warum hat sie sich als die andere Carmen ausgegeben?“
Ihre Mutter schüttelt den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann mir nur vorstellen, dass sie sich für mich geniert hat. Mir ist es nicht immer gut gegangen im Leben.“
Oskar drückt sie fester an sich. „Du hättest immer zu mir kommen können.“
Sie schüttelt den Kopf und sieht mich an. „Ich war es doch, die ihn verlassen hat. Ich war, was
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