Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
schnell weiter, so als müsse er endlich etwas loswerden. „Was ich Ihnen jetzt sage, muss unter uns bleiben. Aber Sie können es nachrecherchieren. Weis hat jeden Grund, Zerwolf in Misskredit zu bringen. Es geht um ziemlich viel. Die „Guru“-Show läuft nicht mehr so gut wie zu Anfang. Wahrscheinlich gibt es zu wenige Menschen, die sich durch die Show auf Dauer besser fühlen, und da schalten sie dann lieber auf Verkaufskanäle oder zu Sportsendungen – je nach Veranlagung eben. Der Fernsehsender verhandelt mit Zerwolf über ein neues Format.“
„Dürften ziemlich einseitige Verhandlungen sein“, sage ich ungläubig.
„Da ist was dran. Aber auf alle Fälle ist Weis das Angebot des Senders an Zerwolf zugespielt worden. Zerwolf soll statt einmal im Jahr einmal im Monat reden. Und das dafür gleich öffentlich im Fernsehen. Man sichert ihm absolute Freiheit zu. Das Ganze soll anstelle der ‚Guru‘-Show gesendet werden.“
Ich überlege. Das müsste selbst für Zerwolf reizvoll klingen. Reden können, worüber er möchte. Ich würde mir die Sendung ansehen. Zerwolf ist es auf jeden Fall zuzutrauen, dass er interessante Dinge zur Sprache bringt – und auch für den einen oder anderen Skandal sorgt. Als er zum letzten Mal öffentlich gesprochen hat, war er gar nicht philosophisch, sondern ganz konkret und politisch. Er hat gefordert, dass Staatsgelder nur dann krisengeschüttelte private Unternehmen unterstützen dürfen, wenn eine Steuer auf Spekulations- und Aktiengewinne eingeführt wird. So würde wenigstens ein interner Ausgleich geschaffen. Ansonsten zahlten alle drauf, die gar nie spekulieren könnten. Und er hat das wunderbar formuliert, so, dass es wirklich jeder begreift, der begreifen will.
„Glauben Sie mir“, sagt Berger beinahe flehentlich.
„Das tue ich. Und ich werde das nachrecherchieren.“
„Weis hat ein ziemlich ausgeprägtes Geltungsbedürfnis, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Warum arbeiten Sie mit ihm? Sie scheinen ja nicht einmal von seinen Methoden besonders viel zu halten. Kann man die Firmenverhältnisse nicht ändern?“, murmle ich.
„Er hatte immer ausgefallene Methoden, nicht die eines ‚Handwerkers‘ eben. Und er hat Erfolg damit. Ich bewundere ihn dafür, ehrlich. Aber er hat sich verändert, seit es dieses Zentrum gibt. Es wird alles extremer … Wenn ich nur an die junge Frau denke, mit der er weggefahren ist …“
„Was ist mit ihr?“, sage ich schärfer, als ich es vorgehabt habe.
Er sieht mich mit einem Mal sehr aufmerksam an. „Sie haben sie gesehen?“
„Nein … Ich frage nur … Was macht er mit ihr?“
„Exerzitien. Er nennt es Exerzitien. Das macht er fast immer mit neuen Jüngerinnen. Sie fahren auf eine Waldlichtung und dann öffnen sie sich.“
„Wie muss ich mir das vorstellen?“ Du liebe Güte, wo haben wir Carmen da hineingetrieben? Okay, sie wollte es selbst. Nein, nicht okay, wir hätten es verhindern müssen. Sie ist jung. Sie ist naiv. Sie ist Oskars Tochter.
Er lächelt schmallippig. „Ich weiß es nur von einer … Klientin. Er bittet sie einfach, langsam und tief zu atmen. Und alles abzulegen, was sie stört. Mit geschlossenen Augen ein Kleidungsstück nach dem anderen abzulegen und dabei zu sagen, was sie stört, was sie loswerden möchten. Zum Schluss ist die Frau nackt und er nennt sie ‚rein‘, ‚gereinigt‘. Und dann … öffnet er sich … und dann ergibt es sich, dass sie miteinander Sex haben. Zur tiefsten Verbundenheit, die möglich ist, als Beginn einer spirituellen Verbundenheit, der natürlich nichts mit primitiver sexueller Befriedigung zu tun hat.“
„So was kann man nur Frauen einreden“, sage ich empört, ohne nachzudenken.
Berger lächelt. „Viele von ihnen suchen im Sex mehr, wir Männer suchen in erster Linie Befriedigung. Und manchmal körperliche Nähe, die wir uns sonst nicht erlauben. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Die Frauen tun freiwillig mit.“
„Ich dachte, die Verlegerin Ida Moylen sei seine … Freundin.“
Berger lacht unlustig. „Haben Sie nicht zugehört? Freundin? Eine Freundin? Warum nur eine, wenn er Sex mit mehreren haben kann? Erfolgsfrauen, reiche Frauen, attraktive Frauen, dankbare Frauen. Ganz abgesehen davon: Er hat Jüngerinnen, das Wort liebt er, er sagt ihnen, es klinge nach dem, was sie durch ihn, durch sich, durch ihre Entwicklung würden: jünger.“
„Ein bisschen platt“, sage ich einigermaßen schockiert.
Berger schüttelt bitter den Kopf.
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