Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
eher zum Lachen. Und Zerwolf, dieser verstummte hochintelligente Murmeltierverschnitt, auch.
Ich drehe meinen Computer ab, nehme meine Tasche und fahre zusammen mit Klaus mit dem Lift nach unten.
„Schade“, sagt er noch einmal und sieht mich an. „Ich wäre sehr gern mit dir essen gegangen.“
„Liebe Grüße an deine Tante“, erwidere ich, küsse ihn kurz auf die Wange und fühle mich mit einem Mal wieder jung. Oder zumindest nicht alt.
Die Lichter der Stadt spiegeln sich auf dem Donaukanal, ich gehe über die Brücke, der Feierabendverkehr hat bereits nachgelassen. Wien hat in den letzten zehn Jahren deutlich gewonnen, denke ich. Einige gut designte Hochhäuser mehr, neue Lichter, neues Leben. Ich mag meine Stadt, vor allem an einem lauen Frühlingsabend wie diesem. „Vieles ist möglich“, denke ich, und ich glaube, ich summe es sogar vor mich hin. Soll ich allein essen gehen? Warum nicht? Andererseits: Netter ist es schon zu zweit. Soll ich Vesna anrufen? Möglichkeit. Aber hat sie nicht irgendwas davon erzählt, dass sie heute Nacht endlich die Buntmetalldiebe erwischen könnten?
Wer bedroht eine harmlose Literaturgala? Vielleicht war es ja doch dieser Hans Glück. Er hat sich über meinen Artikel nicht beschwert, ich habe auch bloß geschrieben, was er gesagt hat. Wie er über seinen Kollegen hergezogen ist … Na ja, wenigstens kein Heuchler. Verhofen. Der wollte schon lange mal mit mir essen gehen. Jetzt auch noch? Zuckerbrot hat ihn ganz offensichtlich vor zu gutem Kontakt mit mir gewarnt. Ich grinse. Die Unterlagen in der roten Mappe … die habe ich jedenfalls nicht von Verhofen, und Zuckerbrot dürfte das wissen. Ich kann ja versuchen herauszufinden, ob sich Verhofen mit mir treffen möchte, obwohl ich so gefährlich für Polizeibeamte bin. Ich rufe ihn einfach an. Oder vielleicht doch eine SMS. Das ist unverbindlicher. Er kann so tun, als hätte er sie nie bekommen. „Sitze in der Redaktion zwischen den Stühlen, bin hungrig.“ Oha, könnte zweideutig klingen. Reduzieren wir es auf das Wesentliche. „Abendessen?“ Okay. Senden.
Wir sitzen auf der Terrasse eines Lokals am Donaukanal, inzwischen ist es doch frisch geworden, aber wir wollen beide noch nicht gehen. Das Essen war mittelprächtig, macht nichts. Verhofen hat mir eine Menge über seine Arbeit bei der UNO erzählt. Er war vor allem in afrikanischen Staaten unterwegs und hat dort Polizeioffiziere ausgebildet. Nicht immer ganz einfach, wenn man in Länder kommt, die noch kaum eine Chance hatten, demokratische Strukturen zu entwickeln.
„Ich habe eine Menge guter Freunde gefunden“, erzählt Verhofen. Er lacht. „Und ein paar von ihnen könnten meinen Kollegen in Wien einiges über Demokratie und Menschenrechte beibringen. Dort gibt es notgedrungen Leute, die sich mit diesen Fragen viel mehr auseinandersetzen.“
„Und warum sind Sie zurückgekommen?“, frage ich.
Er sieht nachdenklich auf das dunkle Wasser. Ich wickle mich enger in meine Jacke.
„Es hatte, wie so oft, mit einer Frau zu tun. Ich habe in Simbabwe eine großartige Frau kennengelernt. Uni-Dozentin für Politikwissenschaften, ich hab einen Vortrag bei ihr gehalten.“ Er lächelt traurig. „Es war eine schöne Zeit.“
„Es ist schiefgelaufen?“
„Sie hat sich gegen mich und für einen Politiker entschieden, den ich für reichlich dubios halte. So eine Art Volkstribun. Schon einer, der für die Ärmeren und für Demokratie kämpft, aber irgendwie … Ich traue ihm nicht.“
„Und deswegen sind Sie zurück?“
„Nicht weil ich ihm nicht traute, das ist eines der vielen Vorurteile, dass in Afrika alle zur offenen Gewalt neigen. Nein, ich hab mich irgendwann auch zurückgesehnt. Und ich hatte keine Lust, Zara irgendwo auf der Straße zu begegnen. Das ist in Wien leichter zu vermeiden als in Harare.“
Ich will ihm schon erzählen, dass Oskar mit seiner neuen Tochter unterwegs ist, aber so gut kennen wir uns auch wieder nicht. Noch nicht. Mira, was willst du? Ein schöner Abend, beinahe ein Flirt, etwas fürs Selbstbewusstsein. Viel besser als jeder Guru. Ich könnte ihm erzählen, dass Weis wiederholt bei der Recyclinganlage gewesen ist. Entlastet Weis ja eher. Sein Motiv, dort zu sein, war nicht, Frauen verschwinden zu lassen, sondern ihnen eine spektakuläre Form der Verwandlung, der Erneuerung zu zeigen.
Verhofen sieht mich an und lächelt. „Sie haben mich noch gar nicht über unseren Fall ausgehorcht.“
Ich zucke ertappt zusammen. Lernt man
Weitere Kostenlose Bücher