Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
„Er erfüllt ihre Bedürfnisse. Dabei ist für ihn eine wie die andere. Er ist wie Narziss, der sich im Wasser spiegelt. Aber das verstehen sie nicht.“
Was sind die Bedürfnisse von Carmen? Ich hätte nie zulassen dürfen, dass sie zu Weis geht, diesem widerlichen … Stopp, Mira. Sie ist eine erwachsene Frau. Alle die Frauen, die sich auf ihn so oder so einlassen, sind erwachsen. Er zwingt sie zu nichts. Und vielleicht ist es ja gerade das, was sie brauchen: Endlich ein Abenteuer, sich wichtig fühlen, aufgewertet dadurch, dass sich der Fernsehguru für sie interessiert, dass er ihnen zuhört, sie ernst nimmt, mehr noch, das Gefühl, von ihm begehrt zu werden.
„Wen halten Sie für den Täter?“, fragt Berger besorgt.
„Sie halten Franziska Dasch für tot? Was wissen Sie?“ Ich starre Berger an. Der zuckt mit den Schultern.
„Tut mir leid, das war unbedacht. Ich … weiß nicht, was mit ihr passiert ist. Ich hab leider keine Ahnung.“
„Warum fragen Sie dann nach dem Täter?“
„Fragen wir uns nicht alle, was hinter ihrem Verschwinden steckt?“
Da ist schon was dran. „Kannten Sie Franziska Dasch besser?“
Berger schüttelt den Kopf. „Leider nein. Sie hat sehr glücklich gewirkt nach den ‚Begegnungen‘ mit Weis. Noch glücklicher als die anderen. Mehr kann ich nicht sagen.“
„Wir wissen inzwischen, dass er mit einigen seiner Jüngerinnen bei der Recyclinganlage war“, erzähle ich. „Haben Sie eine Erklärung dafür?“
Der Psychologe lächelt. „Er liebt alles, was spektakulär und einprägsam ist. Das ist einer seiner Erfolgsfaktoren.“
„Glauben Sie, dass zwischen der Bombendrohung und dem Verschwinden von Franziska Dasch ein Zusammenhang besteht?“
Berger rückt an der Klopapierrolle. „Ob es zwischen den beiden Ereignissen einen Zusammenhang gibt … Wer kann es wissen außer dem Täter?“ Er lächelt bemüht munter. „Also: Ratespiel: Wer war der Drohanrufer?“
Ich schüttle den Kopf. „Zerwolf? Die Verlegerin? Weis? Der Mann von Franziska Dasch, um davon abzulenken, dass er sie ermorden wird? Wer weiß.“ Irgendwas gibt es, was ich ihn noch fragen sollte … Etwas zu den Bedürfnissen, von denen er gesprochen hat … Sind wirklich alle Bedürfnisse gleich? Auch meine? Sind wirklich alle Männer so simpel, wenn es um Sex geht? Aber das war es nicht … Da fällt mir ein, was Vesna wissen wollte.
„Haben Sie hier eine Putzfrau?“
Berger sieht mich irritiert an. Kann ich ihm nicht verdenken. „Eine Putzfrau?“, wiederholt er. „Ja, natürlich kommt jemand putzen. Aber nur, wenn keiner da ist. Weis findet, dass alles sauber sein soll, aber er will nicht sehen, wie es gemacht wird. Warum fragen Sie nach der Putzfrau?“
Ich lächle harmlos. „Weil es hier immer so besonders sauber ist und ich gerade eine suche. Haben Sie ihre Nummer?“
„Nein, die habe ich nicht“, sagt Berger überraschend schroff.
Kann ich irgendwie nicht glauben. Er scheint ja auch sonst für die Organisation des Weis.Zentrums verantwortlich zu sein. „Na ja, dann werde ich eben Weis anrufen und fragen, vielleicht redet er ja doch wieder mit mir. Wäre auch interessant, zu hören, was er dazu sagt, dass Zerwolf quasi seine Sendung übernehmen soll.“
Und seltsam: Jetzt findet Berger die Nummer doch.
[ 8. ]
Oskar ist mit Carmen in einem Konzert. Ich gebe zu, ich bin bei klassischen Konzerten schon einige Male eingeschlafen. Nicht weil ich die Musik nicht zu schätzen wüsste, sondern weil man dabei so wunderbar wegdriften kann, zuerst mit geöffneten Augen, und dann sind sie irgendwann einmal zu. Zumindest bei mir. Carmen hat sich bei Vesna und mir noch immer nicht gemeldet. Leider hat es Vesna nicht geschafft, an Weis und Carmen dranzubleiben. Weis fährt übrigens ein weißes Mercedes-Cabrio. Damit seine Jüngerinnen unter freiem Himmel träumen können. Ob er tatsächlich mit ihnen allen „Sichöffnen“ am Waldesrand spielt? Warum hat mir Berger davon erzählt? Ich habe Vesna die Nummer der Putzfrau des Weis.Zentrums gegeben. Ihr Name klingt bosnisch. Oder zumindest serbokroatisch. Ich kenne mich da nicht so aus. Vesna will nach Verbindungen zu ihr suchen. Vesna und ihre Putzfrauenconnections. Manchmal hilfreicher als die mächtigsten Seilschaften. Ich kritzle Kringel auf meine Schreibtischunterlage. Es ist schon finster, ich bin eine der Letzten in der Redaktion. Carmen scheint jedenfalls nichts geschehen zu sein. Hoffentlich erzählt sie Oskar nicht doch, was sie gerade
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