Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
bei der Polizei jetzt schon Gedankenlesen? „Wenn Sie schon davon anfangen …“, sage ich dann und verstumme wieder. Warum mir den schönen Abend verderben? Es wird kalt, Mira. Bald Zeit, zu gehen.
„Wechseln wir das Thema“, sagt Verhofen sofort. „Wie sind Sie zum ‚Magazin‘ gekommen? Immerhin sind Sie ausgebildete Juristin, nicht wahr?“
„Woher wissen Sie …“, sage ich verblüfft. Ich verwende meinen Titel nie, hat irgendwie nichts mit meinem Job und meinem Leben zu tun.
„Ein bisschen Recherchieren gehört auch in meinem Beruf dazu.“
„Apropos: Statt Sie auszuhorchen, kann ich Ihnen vielleicht etwas Neues erzählen …“ Und dann erzähle ich doch noch, was ich auf der Baustelle erfahren habe. Natürlich ohne Slobo zu erwähnen. Verhofen hört mir aufmerksam zu. „Dabei haben wir den Leuten dort sogar Fotos gezeigt.“
Ich grinse. „Weis hatte auf der Baustelle einen Helm auf. Und was ist das Einprägsamste an ihm? Seine Glatze. Die hat keiner gesehen. Also hat man ihn auf den Fotos auch nicht erkannt. Warum konnte die Recyclingfirma die Anlage gleich wieder in Betrieb nehmen? War die Spurensicherung so schnell fertig?“
Verhofen schenkt uns beiden Wein nach. „Information gegen Information, okay. Der Besitzer hat Druck gemacht und die Autobahnfirma und die Politiker, die hinter der Autobahn stehen, auch. Offenbar ist man gerade in einer kritischen Phase, und wenn da nicht weiter zerkleinert und wiederverwertet werden kann, verliert man zu viel Zeit. Und Geld. Gehört ja zum Konjunkturbelebungsprogramm, diese Autobahn rascher zu bauen, als geplant war.“
„Die wichtigsten Spuren waren schon gesichert, oder? Sonst hätte das Intervenieren wohl nichts genützt“, überlege ich.
Verhofen sieht mich an. „Gut überlegt. Die wichtigste Spur hatten wir, nämlich das Stück Schuh. Und weil Sie das sicher wissen wollen: Er ist tatsächlich durch die Anlage gegangen. Blut- oder Gewebespuren haben wir im Schuh aber nur in dem Ausmaß gefunden, das natürlich ist, wenn er getragen wurde.“
„Und im zerkleinerten Asphalt?“, frage ich.
Verhofen schüttelt den Kopf. Heißt das jetzt, er will es mir nicht sagen, oder heißt es, dass es keine Blut- oder Gewebespuren gab?
„Hinter der Anlage liegt ein Berg recyceltes Material“, rede ich weiter. „Wahrscheinlich ist es nicht so einfach, da drin Spuren zu finden.“
Verhofen nickt. Auch eine Antwort.
„Der Betreiber und die Arbeiter meinen, möglich sei es jedenfalls, eine Leiche in der Anlage verschwinden zu lassen. Man müsse sie nur zwischen den Asphaltbrocken verstecken. Oder selbst mit dem Bagger in die Anlage heben. Legt nahe, dass es sich beim Täter um einen Mann gehandelt hat“, überlege ich weiter.
„Oder um eine Frau mit Kraft“, ergänzt Verhofen. „Oder um jemanden, der den großen Gabelstapler aus der Recyclinghalle fahren kann. Das wäre der einfachste Weg, die Leiche in die Anlage zu hieven.“
Die Verlegerin fällt mir ein. Bücher sind schwer. Sie werden auf Paletten gelagert. Um Paletten zu bewegen, benutzt man Gabelstapler. Quatsch, warum sollte sie … Der Wein ist ausgetrunken. Verhofen sieht sich nach einem Kellner um. Ich sollte dringend gehen, ich möchte nicht nach Oskar heimkommen. Warum eigentlich nicht?
„Wir teilen“, sage ich.
„Ich möchte Sie einladen“, sagt Verhofen und der Kellner bringt auch schon die Rechnung. Ich sehe mich um, wir sind die Letzten, die der kühlen Abendluft am Wasser standgehalten haben. Der Kellner hat wohl schon darauf gewartet, dass wir aufbrechen.
Verhofen zahlt, ich fände es lächerlich, jetzt um die Rechnung zu streiten.
„Danke“, sage ich. „Und danke für den schönen Abend.“
Verhofen lächelt. Er legt seine Hand leicht auf meine. „Schade nur, dass Sie bloß an meinen Informationen interessiert sind.“
„So ist das nicht“, protestiere ich. Meine Hand ziehe ich trotzdem weg. Ein angenehmes Prickeln bleibt. Was hat Berger gesagt? So in etwa, dass Männer immer nur das eine wollen? Quatsch. Am Donaukanal trennen sich unsere Wege. Verhofen biegt nach rechts und ich nach links. Ich drehe mich noch einmal nach ihm um, er geht rasch und schaut nicht zurück.
Mit schnellen Schritten, auch um die Kälte zu vertreiben, trabe ich durch den 1. Bezirk. Ich denke nach. Über dies und das und darüber, dass im Recyclingmaterial offenbar noch keine Spuren von Franziska Dasch gefunden worden sind. Bis der ganze separierte Berg durchsucht ist, wird es
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