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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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ins Bad gegangen, ich sitze vor meinem Laptop. Ganz gelöst hat sich unsere Unstimmigkeit noch nicht. Aber das wird schon wieder. Kein Grund für ihn zur Eifersucht, wenngleich … Ich habe den Abend wirklich genossen. Das darf ja wohl sein. Ich habe mir ein paar Notizen zum Stand der Spurensicherung gemacht. Der Schuh ist durch die Recyclinganlage gegangen, im zerkleinerten Asphalt hat man bisher keine Spuren von menschlichem Gewebe oder Blut gefunden. Auf dem Heimweg wäre ich beinahe mit einem Jogger zusammengekracht, das kann schnell gehen, wenn man nicht auf den Weg achtet. Wenn die ängstliche Gabriele Ploiner einfach etwas falsch interpretiert hat? Aber dass gleich zwei Frauen so reagiert haben? Und warum ist die Polizei damals überhaupt auf die Idee gekommen, ihnen auch das Foto von Zerwolf vorzulegen? Das hätte ich Verhofen fragen sollen.
    Ich gehe auf die Homepage von Zerwolf. Als ob sie mir Aufschluss geben könnte. Schau an, es gibt ein Update. Und zwar von heute Abend. Zerwolf hat einen neuen Satz auf die Startseite gestellt:
    „Der Unterschied zwischen leben und leben lassen ist lassen.“
    Ich schaue immer wieder auf den Satz. Ich verstehe ihn nicht. Leben ist das, was man selbst tut. Leben lassen ist etwas, das man anderen tut. Nein, da tut man gar nichts, man lässt sie eben nur leben. Es ist eine passive Handlung. Das Leben lassen bedeutet wiederum zu Tode kommen. Das Leben sein lassen. Die, die leben, die lassen nicht? Ist das jetzt ein logischer Schluss? Irgendwann einmal hatte ich beim Studium als Nebenfach Rechtsphilosophie und Logik. Und wenn man jemanden nicht leben lässt? Dann lebt man? Nur dann lebt man? Ich werde es heute nicht mehr herausfinden, vielleicht hat er den Satz ja auch einfach hingeschrieben, weil er Anstoß gibt, über Leben und Tod, über das Tun und das Lassen nachzudenken. Und trotzdem schaue ich nach, ob er den Satz irgendwo auf der Homepage erklärt. Tut er nicht.
    Kann der Satz eine Botschaft im Zusammenhang mit der Bombendrohung und dem Verschwinden von Franziska Dasch sein? Weiß Zerwolf etwas? Gibt es jemand, der jemanden nicht „lassen“ kann? Der jemanden nicht leben lassen kann? Ist es er selbst? Ob er noch einmal mit mir spricht? Ob er mit der Polizei gesprochen hat? Auch das hätte ich Verhofen fragen sollen. Wozu gibt es SMS? Oskar hat den Verdacht gehabt, dass mir Verhofen eine geschickt hat, jetzt schicke ich ihm eine. Ich danke ihm für den schönen Abend und frage ihn, ob Zerwolf mit der Polizei gesprochen hat. Vom neuen Satz auf der Homepage sage ich nichts. Ein kleiner Vorsprung. Was für ein Vorsprung? Ich verstehe den Satz ja nicht einmal. „Leben und leben lassen“ war einer der bösartigen Merksprüche im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. So wie „Arbeit macht frei“. Ich weiß es aus einem Buch von Ruth Klüger. Sie war dort. Sie hat den Spruch selbst gesehen und dennoch überlebt. Deutsche Sprichwörter sind ihr seither ein Gräuel. Zerwolf hat die Nazizeit nicht erlebt. Kann es trotzdem eine Anspielung sein? Die Nazis wollten niemanden leben lassen, der anders war. Millionen haben damals ihr Leben gelassen. Unfähig gemacht, sich zu wehren. Ausgeliefert denen, die über Leben und Tod entschieden haben.
    Es dauert nur ein, zwei Minuten und ich habe Verhofens Antwort:
    „Er spricht nur einmal im Jahr. Gute Nacht.“ Sehr kurz angebunden. Habe ich ihn mit der Frage gekränkt? Weil er jetzt sicher ist, dass ich ihn bloß als Informationsquelle betrachte? Täte mir leid. Mit mir hat Zerwolf gesprochen. Unser Chefredakteur will, dass ich mich mit dem Terrorismusverdacht beschäftige. Was hätte Zerwolf für ein Motiv? Was haben internationale Terroristen für Motive? Kampf gegen das christliche Abendland? Hass auf die westlichen Werte? Durchsetzung eigener Interessen? Zerwolf scheint weder eine besondere Religion zu favorisieren noch einen neuen Staat gründen zu wollen. Leben und leben lassen. Rache für die Opfer der Nazizeit. Das Rathaus steht nahe dem Dr.-Karl-Lueger-Platz. Niemand hat ihn umbenannt, obwohl dieser Bürgermeister, Lueger, einer der ärgsten Antisemiten war. – Und wenn es doch um etwas ganz anderes geht? Wenn es viel einfacher ist? Zerwolf kann Weis nicht ausstehen. Vielleicht betreibt er alles bis zur letzten Konsequenz. Er hat mich beobachtet. Er hat Weis eine gefälschte E-Mail geschickt. Er hat mir den Zettel ins Weis.Zentrum gelegt. Vielleicht sind für einen Philosophen Menschenleben nicht so wichtig. Das Leben

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