Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
sicher dauern. Eine Leiche, fein vermahlen mit Asphalt. Ich springe zur Seite. Beinahe wäre ich mit einem nächtlichen Jogger zusammengekracht. Er flucht und rennt weiter. Er trägt eine Mütze. Zerwolf? Ich hetze in der schmalen Gasse hinter ihm her, er dreht sich irritiert um. Nein, nicht Zerwolf. Ein junger Mann. Ich mache eine entschuldigende Geste. Er wird wohl nicht geglaubt haben, dass ich ihn überfallen will.
Ich sperre, beschwingt vom Abend, die Wohnungstür auf, ich werde mir einen Whiskey nehmen, auf meinem Laptop einige Notizen machen und darüber nachdenken, warum heute gleich zwei interessante Männer mit mir ausgehen wollten. Und wie wichtig es für mich ist, was Männer von mir halten. Quatsch, es tut einfach gut, gemocht zu werden.
Oskar starrt mich fragend vom Fernsehsofa aus an. Neben ihm Gismo, auch sie starrt mich an. Was soll das? Hab ich kein Recht, auszugehen? Soll ich zu Hause sitzen und warten, bis mein Oskar heimkommt? Oh Mist. Vielleicht hat Carmen ihm doch erzählt, dass sie die neue Jüngerin von Weis ist.
„Der Abend mit Carmen war schön?“, frage ich mit harmloser Stimme. Ich hoffe, er nimmt sie mir ab.
„Sehr nett“, sagt Oskar. „Und wo warst du?“
„Ich hab mich noch mit Verhofen getroffen, am Donaukanal.“
„Der ideale Ort für ein konspiratives dienstliches Treffen“, antwortet Oskar, noch immer ohne jedes Lächeln.
Ich lasse ihn sitzen, nehme die Flasche Jameson aus dem Schrank, zwei Gläser, ein kleines Kännchen mit Wasser. Ich gehe zurück zum Sofa, stelle alles auf den Couchtisch. „Magst du auch?“
Oskar schüttelt den Kopf.
„Meine Güte“, sage ich, „es hat sich spontan ergeben und ich dachte mir, du bist ja ohnehin mit Carmen unterwegs.“
„Weswegen du sofort mit irgendeinem Typen weggehen musst. Ist deine Eifersucht auf Carmen nicht ein bisschen lächerlich?“
Jetzt reicht es. Ich nehme einen großen Schluck Whiskey. „Ich habe recherchiert, okay? Das macht man manchmal auch am Abend.“
„Ganz schön unangenehm für Verhofen, wenn man ihn am Donaukanal mit dir sieht. Seine Vorgesetzten würden das wohl gar nicht begrüßen.“
„Ich hatte Informationen für ihn. Weis war bei der Recyclinganlage unterwegs. Mehr als einmal.“
„Und was hat er dir erzählt? Dass du schöne blaue Augen hast?“
„Du bist es, der eifersüchtig ist“, rufe ich so spöttisch wie möglich und überlege gleichzeitig: Zumindest scheint seine miese Laune nichts damit zu tun zu haben, dass Carmen geplaudert hat.
„Ich mache mir nur Sorgen. Ich komme um Mitternacht heim und du bist nicht da. Ohne irgendeine Nachricht.“
Ich sehe erschrocken auf die Zeitanzeige meines Mobiltelefons. Liebe Güte, es ist tatsächlich beinahe eins.
„Was ist?“, fragt Oskar. „Hat er dir schon eine SMS geschickt?“
„Wie?“ So ein Unsinn. SMS. Aber Carmen wollte sich bei uns melden. Bei mir hat sie es jedenfalls noch immer nicht getan. „Nein“, sage ich und versuche ein Lächeln. „Tut mir leid, dass ich die Zeit übersehen habe.“
Nun schenkt sich Oskar doch einen Whiskey ein. Und das nicht zu knapp. Es gibt etwas, das ich ihn fragen wollte. Und womit ich ihn vielleicht ablenken kann.
„Kennst du Berthold Klein? Den Anwalt?“
„Wie kommst du zu dem?“
„Er vertritt beide Frauen, die von Zerwolf belästigt worden sein sollen.“
„Seltsam, ich dachte, er ist auf Baurecht spezialisiert. Ich kenne ihn kaum, ich hatte erst einmal mit ihm als Prozessgegner zu tun. Damals prozessierte sein Klient gegen das Bauunternehmen, das ich vertrete. Sie haben behauptet, der Bau des Hotels sei nicht ordnungsgemäß und der Ausschreibung entsprechend erfolgt. Sie wollten Nachbesserungen, weil angeblich irgendwelche Fensterwinkel und die Platzierung der WC-Abflussrohre nicht den Feng-Shui-Grundsätzen entsprochen haben. Das muss man sich einmal vorstellen. Sein Klient wollte ein ‚Wohlfühlhotel im Einklang mit dem Kosmos‘ oder so. Er hatte auch tatsächlich in der Ausschreibung die Einhaltung diverser Feng-Shui-und Esoterik-Regeln fixiert, aber nicht im Detail. Und die Baupläne waren von ihm selbst genehmigt worden. Klein hat verloren.“
„Und jetzt taucht er ausgerechnet im Zusammenhang mit Zerwolf wieder auf“, überlege ich. „Könnte es sein, dass sich Berthold Klein auf Esoterik-Klienten spezialisiert hat?“
Oskar wiegt den Kopf. „Er hat eine kleine Kanzlei. Vielleicht. Das kann ich herausfinden. Könnte ein gutes Geschäftsfeld sein.“
Oskar ist
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