Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
funktioniert haben. Ohne persönlichen Kontakt, und sei es über ein paar Ecken, hätte sich die Frau wohl kaum mit Vesna getroffen. Erstaunt merke ich, dass ich bereits alle Nuggets verputzt habe. Die Sauce war sogar ausgesprochen gut. Natürlich nicht gerade Natur pur, aber was soll’s. Die beiden sind noch immer in ihr Gespräch vertieft. Vesna hat bloß zwischendurch einmal zu mir herübergesehen und ganz leicht mit dem Kopf genickt. Sehr gut, hat das geheißen, du bist also da. Magendrücken. Mir ist, als hätte ich Steine verschluckt. Was ich jetzt möchte, ist ein Schnaps. Am Vormittag? Frage überflüssig, bei McDonald’s gibt es keinen Alkohol. Plus oder Minus? Bei den vielen Kids, die hier herumhängen, ein Plus, denke ich. Ich schnappe nach Luft. Sei fair, Mira, Eier mit Speck und dann Chicken Nuggets, da ist nicht nur Herr McDonald’s schuld, dass es dir nicht gut geht.
Vesna deutet auf mich, die Frau sieht mich misstrauisch an, redet auf Vesna ein, die redet auf sie ein. Wenn die Kids nicht so viel Lärm machen würden, könnte ich vielleicht sogar etwas verstehen. Was sollte ich verstehen? Die beiden reden bosnisch. Vesna winkt und deutet mir, hinüberzukommen.
Ich sehe mich um. Außer den Schulschwänzern sind nur wenige Menschen im Raum. Keiner sieht aus, als wäre er von der Fremdenpolizei. Eher selbst Fremde, und seien es solche im eigenen Land. Ich gehe hinüber, lächle und gebe der Frau die Hand.
„Das ist Nurie“, sagt Vesna.
Nurie sieht mir forschend ins Gesicht.
„Ich habe ihr gesagt, sie braucht keine Angst haben“, sagt Vesna. „Habe erzählt, ich habe bei dir lange illegal geputzt. Habe aber nicht gesagt, dass ich Aufenthaltsbewilligung hatte zum Glück, nur keine Arbeitsbewilligung. Ist kein Wunder, dass sie vorsichtig ist. Mann hat man abgeholt und abgeschoben, sie war nicht daheim. Behörden wissen gar nicht, dass sie da ist.“
Nurie spricht mit Vesna. Ernst, nachdrücklich. Aber sie sieht mich dabei an. „Sie darf natürlich nicht vorkommen in deiner Reportage, klar“, übersetzt Vesna.
Ich nicke und lächle ihr zu. „Und weiß sie etwas, das für uns interessant ist?“
„Kann man wohl sagen“, meint Vesna zufrieden. „Leider sie kann ganz wenig Deutsch, aber sie hat einiges beobachtet.“
Ich gäbe viel darum, jetzt Bosnisch zu können. So muss ich Geduld haben und Vesna gegenüber ja nicht den Eindruck erwecken, allzu neugierig zu sein. Sonst dauert es noch länger, bis ich erfahre, was Nurie weiß. Ich kenne meine Vesna und ihren Hang zur Heimlichtuerei.
„Du magst was zu trinken?“, fragt mich Vesna.
„Nein!“, fauche ich. So weit zu meiner Fähigkeit, mich unter Kontrolle zu halten. Aber Ungeduld und Magenweh sind auch eine schlimme Kombination.
„Sie hat einen wilden Streit beobachtet zwischen Ida Moylen und Weis. Beschreibung passt jedenfalls perfekt zu Verlegerin. Sie kommt immer erst um dreiundzwanzig Uhr putzen, aber an diesem Abend war sie eine halbe Stunde früher dran, der Freund von ihrem Mann und Freund von Bruno hat sie hingefahren. Weis und Moylen sind im Finstern im Vorraum gestanden. Im Mondlicht hat sie alles gut gesehen.“
„Worum ging es?“, frage ich.
Vesna schüttelt den Kopf. „Sie versteht zu wenig Deutsch. Aber sie meint, Moylen ist rasend eifersüchtig und hat Weis eine Szene gemacht.“
„Wie kommt sie darauf? Kann es nicht sein, dass sie da etwas allzu Kosovarisches hineininterpretiert? Dass sie in Wirklichkeit über das Buch gestritten haben?“
Vesna sieht mich spöttisch an. „Weil Eifersucht nur auf Balkan vorkommt?“ Dann redet sie auf Nurie ein. Nurie schüttelt heftig den Kopf. „Nein!“, sagt sie in meine Richtung. Kann also doch ein Wort Deutsch. Und dann: „Hure!“
Also bitte.
Vesna nickt. „Sie sagt, Moylen hat immer wieder ‚Hure‘ geschrien. Das Wort kennt sie, ist eines der schlimmsten Schimpfwörter für albanische Frau.“
Hat Moylen Weis mit „Hure“ beschimpft? Kann sie ja auch im übertragenen Sinn gemeint haben. Weis’ Anbiederung an Medien, an alle, von denen er sich Öffentlichkeit verspricht. Vielleicht wollte er mit dem Buch zu einem größeren Verlag gehen? Und gibt es nicht auch etwas in der Verlagsbranche, das mit „Hure“ zu tun hat? Richtig, „Hurenkinder“. Irgendwelche Zeichen, die auf einer Seite stehen bleiben und dort nichts verloren haben. Wenn die beiden über derartige Feinheiten in der Buchproduktion gesprochen hätten, dann aber wohl nicht in extremer
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