Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
aufgesogen. Außerdem gibt es eine Menge organischer Stoffe im Recycling-Asphalt, die nichts mit Franziska Dasch zu tun haben. Ein Stück Kaninchenfell war dabei, Substanz, die wahrscheinlich von einem Vogel stammt, alles Zeug, das eben mit dem Asphalt zerkleinert worden ist.“
Ich sehe Verhofen an. „Trotzdem: Die Handtasche macht es wahrscheinlicher, dass auch Franziska Dasch durch die Recyclinganlage gegangen ist. Kann ich das schreiben?“
Verhofen nickt. „Sie haben es natürlich nicht von mir. Und bitte: Seien Sie vorsichtig!“
Ich sehe ihm in die Augen. Sie sind braun. Dunkelbraun. Ernst. Augen, denen man vertrauen kann. Wenn man noch in irgendetwas Vertrauen haben kann. „Warum tun Sie das?“
„Weil ich Sie mag.“
Ich habe keine Zeit mehr, etwas über die Freundin von Dasch herauszufinden. Es gibt auch eine nächste Woche, eine nächste Ausgabe des „Magazin“. Abgesehen davon habe ich ja auch einiges, über das es sich zu berichten lohnt. Und dank Verhofen noch etwas mehr. Ob jemand ernsthaft auf die Idee kommt, mich mit irgendwelchen Terroraktivitäten in Zusammenhang zu bringen? Verhofen mag mich, er reagiert übertrieben. Oder ist die Welt verrückt geworden? Ja, ist sie. Sie ist schon länger verrückt. Wenn sie es nicht schon immer war. Reicht das als Antwort? Ist das nicht auch eine existenzphilosophische These? Da war doch etwas mit der Absurdität der Welt. Ich werde mich nicht um Zerwolf und nicht um Terror kümmern, hätte ich sowieso nicht getan. Weil es da nichts Neues zu geben scheint. Momentan. Außer den Interpretationen des „Blatt“. Und Zerwolfs Satz auf der Homepage, aber den kann auch der Chronikchef reinbringen. Hoffentlich geht nicht die Fantasie mit ihm durch. Und was die Sache mit den angeblich von Zerwolf überfallenen Frauen betrifft, so bin ich ganz froh darüber, eine Ausrede zu haben, warum ich nichts über den glücklosen Anwalt und seine Beziehung zu Weis schreibe.
Ich berichte über das Treffen zwischen Dasch und Weis im Weingarten. Ein Teil des Mitschnitts ihrer Auseinandersetzung ist verständlich. Die Fotos sind allerdings zu schlecht, um sie verwenden. Natürlich schreibe ich auch über die recycelte Handtasche und darüber, wie schwierig es ist, im Asphalt organische Spuren zu finden, die Franziska Dasch zugeordnet werden könnten. Ich bin rechtzeitig fertig, der Story ist in der Redaktionskonferenz nur eine Seite Platz zugeteilt worden. Reicht auch. Ich packe zusammen. Frühschluss. Ich versuche Carmen zu erreichen, aber es meldet sich nur ihre Mobilbox. Ich muss zu Vesna. Soll ich mich wirklich mit ihr treffen? Wer weiß, wer mich überwacht? Vesna ist die Verbindungsperson zu Valentin Freytag. Und der … Es ist absurd. Ich werde mich nicht einschüchtern lassen. Das hier ist ein demokratischer Rechtsstaat. Keiner kann mir etwas tun. Ein Ziehen im linken Arm. Ich schüttle den Arm aus. Das Ziehen wird stärker. Ich sollte Sport betreiben. Mein Blutdruck ist zu hoch. Momentan scheint er geradezu in ungeahnte Höhen zu schießen. Ziehen im linken Arm. So kündigt sich ein Herzinfarkt an. Ich versuche, ganz ruhig zu atmen. Es ist, als würden sich alle Muskeln meiner linken Seite zu einem Knäuel zusammenziehen. Kampfkrampf. Ich keuche. Entspanne dich, Mira. Wenn du dich entspannst, dann entspannt sich auch dein Herz. Kann man dadurch einen Infarkt verhindern? Ich sollte raus aus meinem Grünpflanzendschungel. Keiner bemerkt, was mit mir geschieht. Herz, Arm, Magen, alles gepresst in wütendem Schmerz. Ich bekomme kaum Luft. Die Blätter des Riesenphilodendron zerlaufen in eine grüne Masse. Dicht. Schleimig. Anstelle meines Kopfes ein Ballon unter Hochdruck. Gleich wird er platzen. Atmen. Atmen. Atmen. Dieser Druck auf der Brust. Tonnen von Gewicht. Atmen. Atmen. Dein Atem wird ruhig. Dein Herz schlägt regelmäßig. Autogenes Training. Irgendwann hast du es gelernt. Wie war das genau? Ich kralle mich an den Schreibtisch und rede mir ein, dass der Krampf nachlässt. Du hast auf dem Weg in die Redaktion eine Leberkäsesemmel gegessen. Es ist nur der Krampf im linken Arm. Und dein Magen, der drückt. Das haben schon viele geglaubt. Dabei waren es die klassischen Herzinfarktvorzeichen. Und außerdem: So eine Leberkäsesemmel ist auch nicht eben gut für das Herz. Zu viel Fett. Vielleicht hat sie mir den Rest gegeben. Irgendwann einmal ist es so weit. Ruhig, Mira, ganz ruhig. Ich lockere meinen Griff am Schreibtisch. Es wird nicht passieren. Gar nichts wird
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