Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
passieren. Wird schon besser. Schau genau hin. Philodendronblätter. Ganz ruhig durchatmen. Regelmäßig. Gelassen. Der Blutdruck sinkt. Das Herz arbeitet regelmäßig. Der Blutdruck sinkt weiter. Der Druck in der Brust – oder ist es doch der Magen? – lässt nach. Ich stehe schweißüberströmt neben meinem Arbeitsplatz. Ich schüttle den linken Arm vorsichtig aus. Nichts passiert. Es war gar nichts. Nur die verdammte Fantasie. Sicher.
Langsamer als sonst schlendere ich durch die Innenstadt. Da hat keiner davor Angst, dass ich im nächsten Moment eine Bombe zücke und schreie: „Freiheit für …“ – für wen eigentlich? Vesna trainiert heute Nachmittag wieder einmal für den Marathon. Ich sollte ins nächste Sportgeschäft gehen und mir eine passende Laufausrüstung kaufen. Mira, du weißt, wie so etwas endet. Du kaufst sie, du willst die Sachen auch wirklich verwenden, du hast keine Zeit, du siehst sie immer wieder mit schlechtem Gewissen an und irgendwann vergisst du sie. Wenn ich es mir recht überlege, stehen irgendwo daheim ohnehin noch nie gebrauchte Laufschuhe herum. Mit meinem angeschlagenen Herz sollte ich ohne medizinischen Check sowieso nicht laufen gehen. Du hast kein angeschlagenes Herz, du hast zu viel Fantasie. Oder sollte ich doch zum Arzt gehen? Ich schüttle den Kopf. So weit ist es auch wieder nicht. Zum Psychologen? Vielleicht eher. In erster Linie brauche ich aber ein paar Stunden Ruhe. Erholung. Andere Gedanken.
Ich nehme die U-Bahn und fahre zum Tiergarten Schönbrunn. Ich sehe den Pinguinen beim Tauchen zu, freue mich über die Giraffen. Im Dschungelhaus beobachte ich fliegende Hunde, die kopfüber von der Decke hängen und ab und zu mit den Augen zwinkern. Die hohe Luftfeuchtigkeit macht meinem Herzen gar nichts aus. Ich gehe gemeinsam mit Touristen und Frauen und Männern mit Kindern die Wege zwischen den Gehegen entlang. Die Schakale lassen sich leider nicht blicken. Oder bin ich zu kurzsichtig? Zwei junge Eisbären balgen sich, die Mutter versucht eines der beiden Jungen mit ihrer Fellpranke wegzuschieben, aber schon wieder sind die zwei ein plüschiger weißer, brummender Knäuel. Nicht nur ich bin begeistert. Und keine Sekunde denke ich daran, dass so ein Eisbär zu den gefährlichsten Raubtieren überhaupt gehört. Erst als ich mich nahe beim Ausgang noch einmal umsehe, quasi um Danke zu sagen für diesen schönen Nachmittag, erinnere ich mich wieder daran, dass nicht alles auf dieser Welt freundlich und geordnet besichtigbar ist. Die Frau dort hinten mit der roten Schirmkappe. Sie hat mich eindeutig angestarrt. Und sofort weggesehen, nachdem ich mich umgedreht hatte. Jetzt liest sie verdächtig interessiert ein Plakat mit Verhaltensregeln im Tiergarten. Warum? Ich gehe weiter. Werde ich beobachtet? Von wem? Von der Polizei? Von denen, die gedroht haben, das Rathaus zu sprengen? Ich bleibe stehen. Beuge mich hinunter und tue so, als würde ich mir den Schuh binden. Ich trage Slipper. Aber das wird die Frau wohl nicht so genau sehen. Ich spähe zurück. Sie ist noch da. Momentan schaut sie allerdings nicht in meine Richtung. Mira. Hör auf zu spinnen. Denk an die schlafenden fliegenden Hunde und an die weißen Plüschbären. Selbst wenn die Frau dich verfolgt: was könnte sie tun? In der U-Bahn blicke ich mich trotzdem ein paarmal vorsichtig um. Die Frau aber ist nicht da.
Ich bin in der Nacht immer wieder aufgewacht. Ich bin es nicht mehr gewohnt, allein im großen Bett zu liegen. Erst gegen Morgen bin ich fest eingeschlafen. Aber da läutet auch schon mein Mobiltelefon. Ich fahre wie zerschlagen hoch, bin für meine Verhältnisse ausgesprochen rasch wach und drücke die Empfangstaste.
Diplomingenieur Doktor Halbleiter Dasch setzt alles in Bewegung, damit mein Artikel nicht gedruckt wird. Am Apparat ist unser Chefredakteur. Ich sehe auf die Uhr. Halb sieben. Dasch muss ihn aus dem Schlaf gerissen haben. „Woher weiß Dasch denn etwas über meinen …“, fange ich verwirrt an. Die neue Ausgabe des „Magazin“ erscheint ja erst heute am späten Nachmittag.
Der Chefredakteur seufzt.
Woher wohl? Eine undichte Stelle in der Redaktion. Üblicherweise kümmert sich keiner darum, was die Kollegen machen, aber wenn jemand wirklich will, kommt er ziemlich leicht zu allem, was im Computer abgespeichert ist und in der nächsten Ausgabe des „Magazin“ erscheinen soll. Der Chronikchef. Wer sonst? Natürlich, wir haben quasi an zwei Teilen derselben Story gearbeitet. Er hat meine
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