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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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was diese Titelzeile auch nur irgendwie rechtfertigen würde. Aber vielleicht können sie verquere Köpfe auch so verstehen: Ist egal, ob man lebt. Ist egal, ob jemand lebt. Ist egal, wenn jemand tot ist. Zerwolf polarisiert. Und unsere auflagenstärkste Zeitung hat beschlossen, gegen den schweigenden Philosophen zu sein.
    Im „Blatt“ erklärt ein Philosophieprofessor tatsächlich, dass man einen solchen Text als „gefährliche, menschenverachtende existenzialistische Drohung“ interpretieren müsse. Dass ich von dem Typen noch nie gehört habe, sagt ja nicht viel, aber nur eine Deutungsart zuzulassen erscheint mir reichlich eigenartig. Im Artikel klingt auch an, dass es weitere Anschläge geben könnte. – Bisher gab es nur eine Drohung und keinen Anschlag. Ich nehme die Zeitung und gehe zu Droch. Noch eine halbe Stunde bis zur Redaktionssitzung.
    „Wahrheiten sind für die meisten Menschen unbequem“, murmelt Droch und starrt auf die Startseite von Zerwolfs Homepage. „Kann schon sein, dass das sein größtes Problem ist.“
    Ich versuche Zerwolfs Assistentin zu erreichen. Aber Angelika geht nicht ans Telefon. Es ist nicht einmal ein Anrufbeantworter eingeschaltet. Außerhalb der Gesellschaft. Auch da. Ich pfeife auf die Redaktionssitzung. Ich schicke dem Chefredakteur eine kurze E-Mail. Schildere in Stichworten, was ich über das Verschwinden von Franziska Dasch herausgefunden habe. Blattaufmacher ist es keiner. Das ist mir klar. Ich hetze zur nächsten U-Bahn-Station und fahre Richtung Zerwolf. Der Waggon ist nur zur Hälfte besetzt, die meisten Menschen sind jetzt bei der Arbeit oder in der Schule. Zwei ältere Frauen halten das „Blatt“ in der Hand. Sie sehen sich aufmerksam um. Fürchten sie einen Anschlag auf die U-Bahn? Wem nützt diese Angstmacherei? Okay, der Auflage des „Blatt“ allemal. Und wahrscheinlich diesem ewig lächelnden Politiker, den die Zeitung so fördert. Er wird gar nicht anders können, als scharfe Kontrollen für Ausländer zu fordern. Vielleicht auch für Philosophen und alle, die sich irgendwie nicht an die Spielregeln unserer Gesellschaft halten.
    Bei der nächsten Station steigt nur eine jüngere Frau ein. Auch keine Attentäterin, vermute ich. Sie geht auf die beiden älteren Frauen zu und begrüßt sie. Wahrscheinlich haben die beiden gar nicht nach mutmaßlichen Terroristen, sondern nach ihr Ausschau gehalten. Ich steige aus, hetze eine Seitengasse der Mariahilfer Straße hinunter. Vor dem Haus von Zerwolf zwei Fernseh-Übertragungswagen. Ein österreichischer Sender. Ein deutscher Sender. Ein Grüppchen Journalisten. Will er etwa sprechen? Heute? Will er sich rechtfertigen? Geht sich das bis zum Redaktionsschluss aus? Mira, du bist doch gleich wie die vom „Blatt“. Nein. Ich habe einen anderen Zugang. Mir geht es nicht um die Sensation. Mir geht es um die Wahrheit. – Ach wirklich? Gibt es eine? Mehrere? Und ist deine die richtige? Wer entscheidet das? Du selbst? Auch eine Gruppe von Zerwolf-Fans hat sich versammelt. Es müssten wohl so fünfzig, sechzig Menschen sein. Sie haben schnell reagiert und halten Transparente hoch:
    „Halte durch!“
    „Schweigen macht stark.“
    „Wir glauben an Dich!“
    So als ob es hier um Glauben ginge. Ist er für sie nichts als ein Guru der anderen Art? Polizisten stehen reichlich ratlos herum. Einige Journalisten starren nach oben. Ein Kamerateam filmt die Fenster, die zu Zerwolfs Wohnung gehören dürften. Hinter den Fenstern freilich bewegt sich nichts. Ich gehe auf die Gruppe der Journalisten zu und frage einen, den ich vom Sehen kenne: „Wird er heute sprechen?“
    Mein Kollege starrt mich an. „Wer hat das gesagt? Hat er so etwas gesagt?“
    „Paradoxon“, erwidere ich und komme mir klug vor. Ich gehe einfach zur Eingangstür und habe vor, bei Zerwolf zu klingeln. Vielleicht ist noch gar niemand auf diese naheliegende Idee gekommen? Aber noch bevor ich den Knopf drücken kann, sind zwei Polizisten da. Einer nimmt doch tatsächlich meinen Arm und hält ihn fest. Ich schüttle seine Hand wütend ab.
    „Ich werde wohl noch läuten dürfen“, fauche ich.
    „Wir können Sie nicht zu ihm lassen“, erwidert der eine mit wässrigen blauen Augen. Er sieht aus, als wäre er längst pensionsreif.
    „Steht er unter Hausarrest?“, frage ich.
    „Es ist zu seinem eigenen Schutz“, erklärt der Wässrigblaue.
    „Bei uns gibt es Redefreiheit. Das da ist nicht China. Und ich habe das Recht, mit einem Menschen zu

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