Leben macht Sinn
stimmungsvollen Abendhimmel, den Geruch des Basilikums vor dem Küchenfenster oder diesen fruchtigen roten Saft im Glas. Wenn er dann noch die Stille der Welt empfindet, den entspannten Blick seines Schweigepartners empfängt und all das zusammenfließt in einem weiten Lebensgefühl – das macht Sinn dem Dasein zuliebe.
Wir leben nicht vom Nützlichen, wir leben vom Staunen und Träumen, wir leben vom Lächeln und Schweigen unseres Gegenübers, vom Stillsein, vom Singen undPfeifen, vom Flimmern der Sterne, von der Blume, die irgendwann verwelkt.
Wohl kaum jemand, der nicht den Luxus des Innehaltens braucht, den Duft frischer Kräuter, die Freude am Fußballspielen, das Gehen mit nackten Füßen, die noch sonnenwarmen Walderdbeeren, die Befriedigung nach einer gewonnenen Schachpartie, mal wieder kräftig miteinander singen, den Geruch von frischem Brot? Ich spreche vom sogenannten Nutzlosen, das gerade deswegen so wertvoll ist, weil es sich nicht rechnet. Das Erstaunliche an diesen Sinnenfreuden ist, dass sie uns mit einem wachsenden Respekt vor den anderen und einem selbst beschenken. Ein Gefühl, das sich entwickelt, weiter wird, sich vertieft, vergleichbar mit dem Wellenkreis, den ein ins Wasser geworfener Stein erregt. Es öffnet das Gesicht. Man sitzt aufrechter. Die Augen leuchten, wenn man jenes eigentümliche Gefühl auskostet, das von der Schale zum Kern dringt, vom Vergnügen zum Glück, von der Oberfläche in die Tiefe. Es ist jenes Gefühl inneren Erfülltseins, das wir erleben, wenn wir konzentriert zuhören, gemeinsam einem Symphoniekonzert lauschen, um dann in Begeisterung auszubrechen. Oder innerlich erschüttert, einen Film wie »Das Leben der Anderen« sehen. Unsere Sehnsucht nach dem, was mehr ist, als wir selbst, kennt unendlich viele Spielarten: die innere Befriedigung, wieder zu tanzen, einen eigenen Stein liebevoll zu bemalen, sich im Tagebuch auszudrücken, ein Klavierstück zu spielen, ein Gedicht neu zu lesen, einen Text endlich zu verstehen.
Nicht immer sind es Vorhaben, Pläne, Ereignisse, die uns zu Sinnentdeckungen führen. Oft ist es gerade ihr Ausbleiben. Zum Beispiel in der Stille, wenn wir einmal nichts tun, das Geschwätz im eigenen Innern abstellen und einfach dahin treiben im Lauschen und Nichtstun –nicht nur in den Ferien. Als Kinder waren wir darin noch Meister. Heute treffen wir höchstens noch ein paar Künstler oder Aussteiger, die sich den Luxus gönnen, sich zu besinnen. Das schöne alte Wort »besinnen« heißt, das Gelebte in ein Verhältnis zu den Vorstellungen, Wünschen und Ideen zu bringen, die man einmal hatte. Das erfordert Zeit und Ruhe. Denn um nachzudenken braucht man einen langen Atem, das lässt sich nicht im Schnellverfahren erledigen. Aber was ist eigentlich an der Besinnung so subversiv, dass sie so gnadenlos von der Tagesordnung verbannt wurde?
Ein Blick aus dem Fenster kann bereits genügen. Man lässt die Augen schweifen, lässt sich treiben und kommt zur Ruhe. Auf einmal breitet sich da dieses Gefühl von Aufgehobenheit, Weite, Schweben aus. Eigentlich wollte man etwas Wichtiges tun und plötzlich die Entdeckung: Ist es nicht das, was ich suchte?
Bei solch einem kleinen Ausblick kann man zumindest eine Erfahrung machen: Indem ich nichts tue, habe ich genau das getan, was mich mir selbst zurückgibt. Dieses Hin und Her zwischen Zeitlosigkeit und Gegenwärtigkeit festigt den Sinn für das Jetzt, öffnet eine Sehweise, die uns in eine andere Ordnung bringt. Eine Sinnerfahrung, die uns den eigenen Leib und das eigene Leben zurückgibt. Wer damit vertraut ist, kann sich den Aufgaben und Problemen mit gesteigerter Wachheit stellen. Man gewinnt wieder Orientierung, und das bedeutet ja ursprünglich: Sinn.
Sinneslust
»Wer nicht hören will, muss fühlen«, so der Leitsatz unserer Erziehung. Hier wird Hören mit bedingungslosem Gehorsam gleichgesetzt und Fühlen als Strafe angedroht. Im Bestrafen soll das Fühlen zum Schmerz gesteigert werden. Auf diese Weise werden das Hören und Fühlen geknechtet und in einen Zusammenhang von Kontrolle und Strafe gestellt. Das ist aber eine Verkehrung dessen, wozu unsere Sinne und unsere Empfindsamkeit gedacht sind – nämlich zur gesteigerten Sinneserfahrung. Sehend, hörend, tastend, schmeckend, riechend eignen wir uns die Welt an, erfahren unser Leben im Austausch mit anderen, erfahren unsere Kultur im Austausch mit anderen Kulturen.
Unsere Sinne sind Werkzeuge der Sinneslust. Nicht zuletzt deswegen hat die
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