Leben macht Sinn
es immer nur von innen.« Dieser weise Satz von Augustinus (»Über den Lehrer«) scheint mir wegweisend, weil er statt der Fremdbestimmung die eigene Würde in den Vordergrund stellt. Sinn ergibt sich, wenn wir auf unsere eigenen Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume hören, sie annehmen und ernst nehmen. Ohne auf unser eigenes Gefühl zu achten, das vielleicht etwas ganz anderes sagt, als man von uns erwartet, sind unsere Entscheidungen lediglich reaktiv und somit unfrei. Oder wie der Mythenforscher Joseph Campbell in einem Interview so treffend beschrieb: wir verbringen Jahre damit, auf einer Leiter nach oben zu klettern, nur um zu realisieren, dass wir die Leiter an die falsche Wand gestellt haben. Vielleicht an die Wand von jemand anderem, aber nicht an unsere eigene. Tun und Erleben klaffen auseinander, Enttäuschung, Langeweile, schlaflose Nächte sind die Folge, weil wir uns »an der falschen Wand« immer fremder werden.
Menschen haben nicht alles selbst in der Hand, sie werden in Lebenswege hineingeschoben, gezwungen oderverführt, weil sie Sicherheit, Gewinn oder Ansehen erhoffen, ohne selbst zu überblicken, was das für den eigenen Lebenssinn bedeutet. Oder sie treffen falsche Entscheidungen, weil etwas in ihnen, meist aus irgendwelchen Ängsten, die falsche Entscheidung konstelliert hat. Es mag einer noch so kompetent und erfolgreich sein – wenn die Leiter an der falschen Wand steht, staut sich der Hunger nach Sinn. Oft bleibt dann nur der Ausstieg oder der Ausbruch. Die Alltagswerte zerbröckeln, die Selbstbestimmung bleibt auf der Strecke. Ganz zu schweigen von den unzähligen Versuchen, sich selbst mit Schnellkuren aufzurüsten, sich zu betäuben oder mit Pillen und anderen Süchten selbst zu therapieren.
Sinn hat mit objektiven Erfolgen oder Misserfolgen wenig zu tun. Es geht um unser Selbstbild, um die geheime Frage im Innern: »Wie möchte ich gern sein?« Sie bestimmt die Beziehung zum bisher Erreichten und wird zur Grundlage für das, was man für sein Leben braucht. Manchmal geht es darum, die eigene Messlatte zu überprüfen: Sind meine Vorhaben wirklich noch meine Wünsche? Worum geht es mir eigentlich? Stimmt mein Selbstbild noch? Von was muss ich Abschied nehmen? Solche Fragen leiten eine größere Unabhängigkeit ein. Die Wirklichkeit ist nicht mehr eine zu erkletternde Leiter, sondern sie handelt von uns selbst. Weniger mit dem Eindruck auf die Umwelt beschäftigt, wird es wichtiger, mit eigener Stimme zu sprechen.
»Spiele deine eigene Melodie« könnte heißen: Horche auf den Herzschlag deiner inneren Bewegungen und lasse die Sprache der Wünsche, Träume und Sehnsüchte zu ihrem Recht kommen. Es ist das Wesen der Selbstbestimmung, dass sie sich nicht in allgemeinen, fraglosen Orientierungen an phantasielosen Verkehrsregeln zu Hausefühlt. Wir sind Bastler von uns selbst, aus dem was da ist, was Zufall und Schicksal zusammengeführt haben, aber wir können es neu verknüpfen, anders gestalten, eben wie kreative Bastler, die ja auch nicht nur nach Plan vorgehen. Zu eigensinnigem Denken ist nur fähig, wer Assoziationen mit inneren Bildern, kühnen Träumen und Wünschen und Fühlen herstellen kann. Solche Erfahrungen prägen uns nachdrücklich; sie vertiefen uns. Warum? Weil es nicht genügt, es bequem zu haben, einzukaufen, fernzusehen, Handy am Ohr, Türe zu, Glotze an.
Menschen fühlen sich am meisten als wirklich sie selbst, wenn sie mit inneren Wünschen, Gefühlen, Phantasien in Kontakt sind, die im gewöhnlichen Alltagsbewusstsein nicht stark hervortreten. Auf Spaziergängen, im Wald, bei der Betrachtung des Meeres, beim Barfußgehen, im Gespräch mit einem guten Freund. Jeder kennt es: Man fühlt sich plötzlich substantieller, wirklicher.
Wer sich die exzentrischen Konzepte mancher Gurus vom »Weg nach innen« vor Augen führt, der wird vielleicht aufatmen vor der verblüffend einfachen Erkenntnis, dass man täglich bei sich sein kann, wenn man auf seine inneren Bewegungen achtet und sie reflektiert. Was brauche ich? Was tut mir gut? Was schadet mir? Was ist wichtig für mich? Was vernachlässige ich? Sich verstehen beruht auf guter Kenntnis der eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Statt dass man nur bestimmte, vorgegebene Dinge glaubt, wünscht oder fühlt, kann man sich fragen: Woher kommen meine Gefühle und Phantasien? Was hat sie ausgelöst? Wo liegt ihr Ursprung? Es geht darum, sich in seinem Fühlen zu verstehen, statt ihm ausgeliefert zu sein. Solches Wissen
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