Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
ausgeschenkt, die beliebte Limonade. Kam wirklich einmal eine Kontrolle zur Tür herein, verschwanden die Schnapsgläser im Nu, und ein jeder saß vor einer einsamen Limonade. Zudem hatte die Polizei keineswegs ein scharfes Auge auf dieses Verbot. Für das Jahr 1942 zählte die offizielle Polizeistatistik sieben Übertretungen, was den Jenever betraf, für ganz Amsterdam.
Auch das sorgfältige Bezugsschein-System konnte nicht verhindern, dass in Amsterdam der Schwarzmarkt blühte. Es gab jede Menge Butter und Fleisch, Käse und Obst unter der Hand, wenn man Geld hatte. Das Pfund Butter, 1941 noch für 1,30 Gulden zu haben, kostete 1942 schon 7,50 Gulden. Wer genug bot, für den fand der Wirt noch eine Flasche Champagner im Keller und schenkte auch ein weiteres Gläschen Jenever ein.
In den Restaurants legte der Ober dezent unauffällig die »Spezial- oder Flüsterkarte« unter die Serviette. Wer ein dickes Portemonnaie hatte, war nicht auf fleischlose Speisen und Pellkartoffeln angewiesen. Im feinen Amsterdamer Restaurant »Excelsior-De Smore« verzichtete man auf heimliche Angebote. Dort stand an erster Stelle der Speisekarte in großen Lettern » WAS DER TOPF HERGIBT (10 gr. Butter) 2,50 Gulden«. Zwei Zeilen weiter folgte ganz offen »Frischer gekochter Salm« für 15 Gulden; für 3 Gulden wurden Erdbeeren mit Eis serviert.
Ob teurer Salm oder Rohkostsalat: In allen Lokalen und Cafés erinnerten Schilder an das, was Teil des Amsterdamer Alltags geworden war, auch wenn es neunzig Prozent der Amsterdamer nicht betraf: »Für Juden verboten«. Es war auch »nur« die kleine jüdische Minderheit von rund zehn Prozent der Bevölkerung, die seit Anfang Juli damit rechnen musste, zum »Arbeitsdienst in Deutschland« aufgerufen zu werden. Unter der Androhung von Razzien waren die meisten Aufgerufenen seit Mitte Juli zur Stelle und bestiegen am Hauptbahnhof die Züge nach Westerbork und anschließend weiter nach Osten. Doch den Menschenjägern war die Organisation zu kompliziert. Sie schalteten den Jüdischen Rat bei der Einberufung aus und machten das Deportations-Verfahren wesentlich kürzer.
Juli 1942: Beginn der Deportationen. Juden, die sich auf Befehl der Besatzer zum »Arbeitsdienst in Deutschland« aufmachen, werden von ihren Nachbarn fotografiert
Jetzt erstellte die Zentralstelle für jüdische Auswanderung ( ZjA ) anhand der Statistiken der Amsterdamer Verwaltung Listen und forderte die betroffenen Juden per Post auf, am Tag nach Erhalt des Schreibens direkt mit Sack und Pack reisefertig zu erscheinen. Deshalb brauchte man einen neuen Ort zum Registrieren, wo die Angeschriebenen bleiben und die Nacht vor der Abfahrt verbringen konnten.
Der Ausweis der Schauspielerin Henriette Davids als Mitarbeiterin des Jüdischen Rates in der Schouwburg wurde am 5. August 1942 ausgestellt. Wenige Tage zuvor war Ferdinand aus der Fünten im Jüdischen Theater, wo gerade für eine neue Revue geprobt wurde, erschienen: Ende der Vorstellung! Mit wenigen Worten machte der führende Mann der ZjA alle Hoffnungen zunichte, die Kunst könne ein schützender Hafen sein in Zeiten der Katastrophe. Ab sofort brauchten die Besatzer das Gebäude als »Durchgangslager« für die Juden nach Westerbork. Die Hollandsche Schouwburg hatte ausgedient als letzter Schonraum jüdischer Kultur in Amsterdam, als ein Ort, wo sich zu Musik und Theater, Operetten und jiddischen Liedern die jüdische Gemeinde versammelte. Alle jüdischen Künstler unterstellten sich sofort dem Jüdischen Rat und erhielten als Helfer im leer geräumten Theatersaal für die Juden »auf der Durchreise« die begehrte »Sperre«, die sie vom »Arbeitseinsatz« in Deutschland freistellte.
Wie vorgeschrieben, erschienen die aufgerufenen Juden ab 28. Juli vor dem hellen neoklassizistischen Bau in der Plantage Middenlaan. Dort wurden sie von Mitarbeitern der ZjA registriert und vom Jüdischen Rat betreut. Am folgenden Abend schon ging es zum Hauptbahnhof, von dort mit dem Zug nach Westerbork und weiter ins Ungewisse. Denn von denen, die bisher Westerbork verlassen hatten, gab es keinerlei Rückmeldungen, wo sie gelandet waren. Wirklich in Deutschland? Immerhin: Die Ungewissheit ließ noch Hoffnung zu.
Am Morgen des 3. August jedoch brach Panik aus in der jüdischen Gemeinschaft. Die Zeitungen schrieben, was ein Vertreter des deutschen Reichskommissars für die besetzten Niederlande in einer öffentlichen Rede über das Schicksal der deportierten Juden gesagt hatte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher