Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Innenministerium »unverzüglich Sorge zu tragen«, dass 100 000 »voll gebrauchsfähige« Herrenfahrräder von den Niederländern eingezogen werden, »zum Abwehrkampf gegen die Feindmächte« und ohne Kompensation natürlich. Eine Liste mit Städte-Quoten ist beigefügt: Amsterdam soll bis zum 21. Juli 8000 liefern, und weitere 8000 bis zum 8. August. Am Ende der Befehlskette müssen die Polizisten die Schmutzarbeit ausführen. Als sie in Amsterdam am 20. August die vielen Radstellplätze aufsuchen, ist ihre Beute äußerst gering. Offensichtlich hat es Vorwarnungen gegeben und Tausende haben am Abend zuvor ihr Fahrrad versteckt.
An diesem Schabbat, ein strahlender Sommermorgen, wird Monne de Miranda in seiner Wohnung von Agenten des SD verhaftet. Einunddreißig Jahre ist es her, dass der jüdische Sozialdemokrat erstmals in den Amsterdamer Gemeinderat gewählt wurde. Der Siebenundsechzigjährige, als Beigeordneter in den zwanziger Jahren verantwortlich für den beispielhaften modernen sozialen Wohnungsbau Amsterdams und Förderer der renommierten »Amsterdamer Schule«, wird in die Zentrale vom deutschen Sicherheitsdienst in die Euterpestraat gebracht. Am nächsten Tag überführen ihn die Deutschen in die Haftanstalt am Amstelveenseweg.
De Miranda war allein zuhause, als seine Verfolger kamen. Kaum hat seine Frau von der Verhaftung erfahren, nutzt sie alle Kontakte. Sie schreibt dem Chef des SD und anderen deutschen Autoritäten, es müsse sich um ein Missverständnis handeln, bittet gute Bekannte ihres Mannes um Unterstützung. Die einen antworten nicht, die anderen lehnen ab. Monne de Miranda, eigentlich in »Mischehe« durch seine christliche Frau vor Verfolgung geschützt, bleibt im Gewahrsam der Besatzer, ohne dass seine Frau einen Grund für die Verhaftung erfährt. Sie darf ihn nicht besuchen, erhält keinen Brief von ihm.
Seit am Abend des 14. Juli die ersten Juden am Amsterdamer Hauptbahnhof eintrafen, um den Zug ins Lager Westbork zu besteigen, stand der Jüdische Rat unter Druck durch die unzufriedenen Besatzer. 4000 Deportierte bis Ende Juli war die Vorgabe aus Berlin. Der Rat gab den Druck weiter an die Juden und verschickte täglich weiterhin Aufrufe, sich zwecks Auffordung zum »Arbeitsdienst in Deutschland« bei der ZjA einzufinden. Die Auswahl der Menschen, die fort mussten, traf immer noch der Jüdische Rat, und so sollte es nach seinem Willen bleiben. Aber dafür musste er den Deutschen liefern.
Druck und Drohungen des Rates und der Appell an die jüdische Solidarität wirkten. Die Zahl derer, die zur Ausreise bereit waren, stieg. Von der Centraal Station in Amsterdam fuhren bis Ende Juli in den späten Abendstunden ins Lager Westerbork: am 19., Sonntag, ein Zug mit 1000 Juden; am 21., Dienstag, ein Zug mit 1018 Juden; am 23., Donnerstag, ein Zug mit 1010; am 25., der heilige Schabbat, waren es 950 Juden. Nach den ersten drei Zügen fuhren noch einmal 3978 Menschen ahnungslos in einen schrecklichen Tod.
Die Besatzer waren zufrieden, lag damit doch die Gesamtzahl der ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportierten Amsterdamer Juden – mit kurzem Zwischenstopp in Westerbork – um einiges über der von Eichmann geforderten Juli-Quote. Und die von Eichmanns Transportoffizier geforderte Tausenderzahl pro Zug war auch eingehalten worden.
Manche der Juden, die sich an den sommerlichen Abenden durch Amsterdam zum Hauptbahnhof begaben, litten still und gebeugt unter ihrem Fahrtgepäck. Andere reagierten nervös und angespannt angesichts der ungewissen, nichts Gutes versprechenden Zukunft, wieder andere blieben optimistisch bis zuletzt.
Grete Weil, deren Mann bei der Razzia im Februar 1941 aufgriffen und im KZ Mauthausen zu Tode gequält worden war, sieht von ihrer Wohnung, Beethovenstraat 48, wie die Menschen nächtens in die Straßenbahnen gedrängt werden. Jahrzehnte später hat sie es in ihrem Roman »Tramhalte Beethovenstraat« beschrieben: »Halblaute scharfe Kommandos: Schnell, schnell, schneller. Wagen eins, eins a, zwei, zwei a, drei … ein Mann fiel zu Boden, die anderen stiegen über ihn hinweg, konnten es nicht erwarten, drinnen zu sein, einen Sitzplatz zu ergattern, es sich bequem zu machen.« Die Polizisten haben Hunde dabei.
Ein Geschäftsmann aus der Beethovenstraße hat auch anderes erlebt: »Immer noch steht mir der Transport von Familie Van Rijn aus der Jan van Eijckstraat vor Augen. Er kam die Straße entlang mit seinem Koffer und einem Vogelkäfig und sagte
Weitere Kostenlose Bücher