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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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umgehend Gesuche zur Freilassung für hunderte von Juden, die verhaftet worden waren, obwohl sie den Polizisten Ausweise des Jüdischen Rats vorlegten, die sie vom Arbeitsdienst »freistellten«. Ferdinand aus der Fünten von der ZjA , der an diesem Abend wie meistens die »Beute« inspiziert, entscheidet über die Gesuche: »Er überprüfte Fall für Fall, aber völlig willkürlich … Es war allerdings ein gutes Gefühl, als wir am nächsten Tag hörten, dass fast alle Gesuche, die ich getippt hatte, bewilligt worden waren.« Noch gelang es auch, im Gedränge Juden wieder aus der Schouwburg hinauszuschmuggeln, zumal wenn die deutschen Bewacher dem reichlichen Alkoholangebot, das die jüdischen Mitarbeiter einsetzten, nicht widerstehen konnten.
    Die allermeisten Opfer jedoch hatten kein Glück und wurden mit Lastwagen oder Straßenbahn von der Schouwburg in der Plantage Middenlaan zum Hauptbahnhof gebracht. Einer der Amsterdamer Polizisten, die an der Ecke zur Plantage Parklaan zu Pferd den Zugang zur Schouwburg absperrten, erinnerte sich später an schmerzliche Bilder: »Bei uns trafen Bekannte und Familienangehörige ein … Sie versuchten, durch die Absperrung zu gelangen, um mit den Eingesperrten in Kontakt zu kommen. Wenn dann eine Straßenbahn vorbeifuhr, vollgestopft mit Opfern, kam es oft vor, dass sie sahen, wie ihre Familie, wie nahe Angehörige abtransportiert wurden. Ich habe gesehen, wie Frauen sich vor Angst, Verzweiflung und Ohnmacht die Haare vom Kopf rissen, während deutsche Soldaten sich vor Vergnügen über diese unglücklichen Menschen lachend auf die Schenkel schlugen.«
    Kaum rollten die Züge der niederländischen Eisenbahn die Deportierten regelmäßig in Richtung Westerbork, griffen in Amsterdam die Räder der Vernichtungsmaschinerie weiter ineinander. Die Schlüssel der verlassenen Wohnungen landeten bei den Mitarbeitern der »Hausratstelle«, eine Abteilung der Zentrale für jüdische Auswanderung. Auch dies einer der verharmlosenden Begriffe, hinter denen die Besatzer ihre brutalen Ziele verbargen. Einzige Aufgabe der Hausratstelle war es, umgehend die Wohnungen der Deportierten zu inspizieren und ein Inventar aller Gegenstände anzufertigen. Dann wurde der »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg« ( ERR ) eingeschaltet, der in allen besetzten Ländern den Raubzug der Deutschen an wertvollen Kunstschätzen aus Museen und Privatsammlungen und an Alltagsmobiliar, die sogenannte »Möbelaktion«, organisierte. In Amsterdam hatte der Leiter vom ERR sein Hauptbüro in der Prinsengracht 796 und koordinierte den Einsatz der Stadtteilbüros.
    Zu den Mitarbeitern der Stadtteilbüros zählten rund siebzig niederländische Arbeiter, die beim Sortieren und Verpacken der Wohnungseinrichtungen eingesetzt wurden. Auf dem Papier sollte der jüdische Hausrat von Amsterdam in die eroberten Ostgebiete transportiert werden und dort Büros und Wohnungen der deutschen Besetzer ausstatten. Tatsächlich wurde die Beute zum Teil an niederländische Händler verkauft, die damit ihre Auktionen bereicherten; anderes landete auf dem schwarzen Markt. Amsterdamer Mitbewohner hatten keine Hemmungen, sich am Eigentum ihrer ehemaligen Nachbarn zu vergreifen. Je länger die Aktionen dauerten, um so mehr ließen Mitarbeiter der Hausratstelle Gegenstände verschwinden, statt sie auf die Inventarliste zu setzen.
    Aber es blieben noch Güter in Millionenwerten zum Verschiffen übrig. Mit dem Beginn der Deportation der Amsterdamer Juden wurden Zehntausende Tonnen Raubgut im Amsterdamer Hafen, Oosterlijke Handelskade, von der Bremer Transportfirma Kühne + Nagel im Auftrag des »Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg« umgeschlagen. Ziel war das Ruhrgebiet, mühelos zu Schiff erreichbar. Dort verteilten die Parteibonzen der NSDAP Möbel und Geschirr, Kleidung und Wäsche nach Belieben an Ausgebombte und zum eigenen Nutzen.
    Ein verlässliches Glied im Ablauf der Raub-Organisation innerhalb Amsterdams war das Umzugsunternehmen von Abraham Puls, seit 1934 Mitglied der Nationalsozialistischen Bewegung ( NSB ) in den Niederlanden. Fuhren die großen Möbelwagen in den Stadtteilen mit einem hohen Anteil jüdischer Bewohner vor, dann ahnten die Nachbarn: Es handelte sich nicht um einen gewöhnlichen Umzug. Hier wurde »gepulst«, wie es sehr bald hieß, und jeder wusste, worum es ging: »Wenn eine Familie weggeholt war, erschienen die Wagen der Firma Puls, um die Häuser leer zu machen … Mit Freunden ging ich schon mal in so ein Haus,

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