Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
den Engländern erobert worden. Vom 4. bis 6. Februar müssen in Amsterdam auf Befehl der Besatzer alle Kinos, Theater und Varietés schließen, um den »heldenhaften Kampf« der 6. deutschen Armee in Stalingrad zu ehren. Alles Pathos, mit dem die NS -Propagandamaschine diese militärische Katastrophe vernebelt, kann nicht verhindern, dass in Amsterdam – wie in allen besetzten Ländern – die deutsche Niederlage um Stalingrad als Wende gedeutet wird: Unrecht und Gewalt werden nicht siegen. Was die wenigsten durchschauen: Die Niederlagen und Krisen der Deutschen auf dem östlichen Kriegsschauplatz machen das Leben der Menschen in den besetzten Ländern im Westen nicht leichter, im Gegenteil. Je mehr die Chancen auf den »Endsieg« sinken, um so gewalttätiger reagieren die Deutschen da, wo sie noch Herren im Hause sind, ob in Paris oder Amsterdam. Um so aggressiver verfolgen sie überall ihr Ziel, Europas Juden zu vernichten.
In seiner Rede am 29. Januar 1943 hämmert Reichskommissar Seyß-Inquart den Niederländern ein, dass die deutschen Soldaten im Osten »mit eiserner Entschlossenheit ihrem Schicksal entgegensehen« und dort »unerschüttert den höchsten Einsatz leisten«. Um so entschiedener müssen die Besatzer im Westen jeder »Konspiration« und »Sabotage« entgegentreten: »Wer dies wagt, muss vernichtet werden.« Hitlers Geheimerlass vom 13. Januar zur Vorbereitung des »totalen Kriegs« wird auch in den Niederlanden zur »gleichen totalen Zusammenfassung der Kräfte« führen.
Die Drohungen des obersten deutschen Besatzers in seiner Rede zum zehnjährigen Jubiläum der Kanzlerschaft Adolf Hitlers und dem Beginn der NS -Herrschaft in Deutschland klangen besonders den Amsterdamern in den Ohren. Im Januar 1943 war in der Hauptstadt erstmals unübersehbar aufgeflackert, was die Besatzer »Sabotage« nannten: Am 19. hatte es den Versuch gegeben, ein Transformatorenhäuschen in die Luft zu sprengen; in der Nacht vom 25. auf den 26. wurde ein Brandanschlag auf das Rembrandttheater verübt. Das UfA -Kino brannte völlig aus, eine weithin lodernde Fackel in der nächtlichen Innenstadt. Am 31. ein weiterer zerstörerischer Brandanschlag auf ein Büro der WA , der »Wehrabteilung« der Nationalsozialistischen Bewegung in den Niederlanden.
Die Polizeiberichte meldeten, dass die Öffentlichkeit auf die Anschläge nicht reagiert; kein Streik, in Büros und Fabriken werde weitergearbeitet. Doch etwas hatte sich verändert nach fast drei Jahren Besatzungszeit, in denen die einheimischen Institutionen, die Verwaltungen, Gerichte und Ämter Ruhe und Ordnung als oberste vaterländische Pflicht gegenüber den Besatzern ausgaben. Die ohnmächtige Wut angesichts der Gewaltherrschaft der Deutschen und der Verfolgung der Juden, bisher im Stillen ertragen, drängte Menschen zur Tat, die nicht nur im vertrauten Kreis mit Worten aufmüpfig sein wollten.
2. Februar – Der zweiundzwanzigjährige Rudi Bloemgarten, bis zum Verbot für Juden Medizinstudent, klingelt in der Jacob Obrechstraat beim Amsterdamer Generalstaatsanwalt und NSB -Mitglied Jan Feitsma. Feitsmas Unterschrift stand unter vielen Schildern mit der Aufschrift »Für Juden verboten«. Als sich die Türe öffnet, schießt Bloemgarten und flüchtet. Statt des Vaters hat er den Sohn getroffen und schwer verwundet.
5. Februar – Gegen Abend klingeln zwei junge Männer bei dem siebzigjährigen General Hendrik Seyffardt, Kommandeur der niederländischen Freiwilligen Legion, die als Unterorganisation der Waffen- SS Niederländer für den Kampf an der Ostfront wirbt. Der General öffnet: Ob er Seyffardt sei? Als er bejaht, schießen die Männer und flüchten. Der General stirbt am nächsten Tag. Einen Satz hat er den Ermittlern noch sagen können: »Es waren Studenten«.
7. Februar – Eine Woche zuvor war Hermannus Reydon, Jurist, seit 1932 Mitglied der NSB , zum neuen Leiter des niederländischen Ministeriums für Volksaufklärung und Künste, eine Kopie des Goebbelsschen Propagandaministeriums in Berlin, ernannt worden. An diesem Sonntag, General Seyffardt war gerade feierlich aufgebahrt, klingelt der Neurologe Gerrit Kastein bei Reydon; dessen Frau öffnet und sagt, ihr Mann werde bald nach Hause kommen. Kastein erschießt Frau Reydon und wartet mit der Pistole auf ihren Mann, der sieben Monate später an den Schussverletzungen stirbt.
Alle Attentäter gehören zur Widerstandsgruppe CS -6, die in der Corellistraat 6 in Amsterdam Zuid, dem Haus von Jan und
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