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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Juden im September 1943 den kleinen Max Vogel an seinem dritten Geburtstag aufspürten, mitsamt der Großmutter, die in Sobibor ermordet wurde, weil sie Jüdin war. Henneicke überquert den Hogeweg, ist keine Minute später auf Höhe der Hausnummer 25. Blitzschnell tritt ein Mann aus der Nische der Haustür, die durch zwei Stufen vom Bürgersteig ins Haus verlegt ist, und schießt ihn aus nächster Nähe viermal in den Kopf. Der gefürchtete Judenjäger Willem Henneicke ist sofort tot.
    Am »verrückten Dienstag« im September, als das Ende der deutschen Besatzung nahe schien, hatte er erstmals Kontakte zum Widerstand aufgenommen und nach und nach ehemalige engste Mitarbeiter seiner »Kolonne« verraten, um seinen »Frontenwechsel« zu beglaubigen. Aber ein Teil der Widerstandskämpfer vermutete ein perfides Doppelspiel und drang darauf, dass der skrupellose Verbrecher beseitigt würde, bevor er wieder gefährlich wurde. Im Linnaeusparkweg erschien nach dem Attentat sofort deutsche Polizei, alle Häuser in der Umgebung wurden durchsucht, die Straßen rundum abgesperrt. Der Mörder jedoch konnte entkommen.
    14. Dezember – Am Tugelaweg in der Transvaalbuurt explodierte eine Ladung Sprengstoff, die an den Gleisen oberhalb des Bahndamms angebracht war. Die Explosion unterbrach die Zugverbindung nach Utrecht, die dank deutscher Eisenbahner trotz Streiks von der Wehrmacht genutzt wurde. Noch heute reihen sich den Bahndamm entlang die Klinkerhäuser, in denen in den zwanziger Jahren viele jüdische Diamantschleifer nach den Elendsbehausungen der Innenstadt ein neues helles, solides Zuhause fanden. In einer Erdgeschosswohnung ist von innen ein schmuckloses Poster gegen das Fenster geklebt, für alle Vorübergehenden deutlich sichtbar: »1 von 21   662 Häusern, wo Juden wohnten, die im 2. Weltkrieg ermordet wurden.«
    Am 15. Dezember werden am Haarlemerweg im Westen Amsterdams von den Besatzern willkürlich drei Menschen erschossen. Es ist nicht die Rache für den Eisenbahn-Anschlag, die folgt am 28. Dezember: Drei politische Gefangene werden vom Gefängnis Weteringschans aus der Innenstadt an den Bahndamm am Tugelaweg gebracht, Bewohner aus den umliegenden Häusern geholt und die drei Männer vor aller Augen erschossen. Zwei Tage lang bleiben die Leichen zur Abschreckung liegen, unter Polizeischutz.
    Am 19. Dezember überfällt der deutsche Sicherheitsdienst das Studentenwohnheim »Pallas« am Zwanenburgwal längs der schmalen Gracht, die heute am mächtigen Stadhuis/Muziektheater-Komplex in die Amstel fließt. Es werden Waffen gefunden, neun Studenten verhaftet. Sieben von ihnen werden erschossen, zwei ins KZ deportiert. Unterdessen zerstören Kommandos der Widerstandskämpfer im Amsterdamer Hafen die noch intakten Kräne, damit die Besatzer ihre Schiffe nicht länger mit Raubgut aus der verarmten Stadt beladen können, das nach Deutschland geht: Nahrungsmittel, Metalle und Konsumgüter aller Art.
    Wim Ibo, Dritter von links, mit seinem Kabarett »Der Scheinwerfer« am Leidseplein: auch im Dezember 1944 ein volles Haus
    Ausnahmezustand überall, und doch gibt es Traditionen, die wie Haltegriffe die letzten Kräfte mobilisieren, damit man sich nicht der totalen Auflösung ergibt. Auch am 6. Dezember 1944 kommen Sinterklaas und der Zwarte Piet in die Hauptstadt. Bijenkorf am Dam, einst das Luxuskaufhaus, hat zwar keinen Luxus mehr zu bieten, aber zu Ehren des heiligen Bischofs sind Auslagen und Abteilungen mit Waren gefüllt. Schaut man genau hin, ist das meiste Ramsch. Aber die Amsterdamer haben noch Geld. Zu Sinterklaas bei Bijenkorf – vor dem Überfall der Deutschen in jüdischem Besitz –, Geschenke zu kaufen, gehört zur Selbstbehauptung in aufgewühlten dunklen Zeiten: dass die alte Welt doch nicht ganz untergegangen ist.
    Die Verbindung zum alten Leben nicht total abreißen lassen. In den Kinos liefen nur noch Filme für deutsche Soldaten, und das städtische Theater (Schouwburg) am Leidseplein hatte inzwischen geschlossen. So ging man eben in das kleine Leidseplein-Theater, wo Wim Ibo am 8. Dezember mit seiner neuen Truppe »De Koplamp« (Der Scheinwerfer) und dem Programm »Wij lopen door …« (Wir laufen weiter) Premiere hatte. Amsterdam ohne Kabarett-Revue war undenkbar. Mochte auch der Kritiker vom gleichgeschalteten Telegraaf am 9. Dezember naserümpfend anmerken, »ob das Publikum bei Kabarett-Premieren stets ungesund und unnatürlich sein muss?« In Amsterdam boten Kabarett und Kleinkunst auch

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