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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Horizonte begrenzt. Man war sich in seinem Milieu selbst genug, aber zugleich waren Toleranz und Kompromiss lebensnotwendig. Jeder wusste, welche Partei er zu wählen hatte und vertraute darauf, dass die Politiker die richtigen Entscheidungen treffen würden, wenn es im Parlament oder den Gemeinderäten um Kompromisse mit den Vertretern der anderen »Säulen« ging. Denn nur durch Kompromisse im großen Ganzen konnte das partikulare System bestehen und zugleich die nationale Einheit der Niederlande bewahrt werden. Das feste Band, das die Säulen miteinander verknüpfte und zusammenhielt, war das Königshaus der Oranier. Königin Wilhelmina war sich dieser nationalen Aufgabe sehr bewusst, wenn sie immer wieder darauf bestand: »Es lebe das Vaterland!«
    Im Herbst 1929, als Monne de Miranda auf ein Jahrzehnt als Beigeordneter zurückblickte, konnte er wieder ein Bauprojekt einweihen: Amsterdam Zuid (Süd), noch größer und anspruchsvoller als das gelungene Transvaalviertel. Ganz Amsterdam war stolz, als am 17. Oktober 1929 erstmals die Straßenbahnlinie 24 vom Hauptbahnhof bis zum Olympiastadion fuhr, das in der westlichen Ecke von Amsterdam Zuid liegt. »Weltweit einzigartig im Städtebau«, nannte das Algemeen Handelsblad das Projekt, »das die aufrichtige Bewunderung von Bürgern und Fremden erregt«. Es war ein Kraftakt mit langem Atem und Monne de Miranda dafür der richtige Mann.
    Die Ausgangsidee: Das weite unerschlossene Gebiet zwischen Amstel und Schinkel sollte ein großzügiges zweigeteiltes Wohngebiet werden: im Osten das »Flüsseviertel« (Rivierenbuurt) für Facharbeiter und Mittelständler, im Westen um Apollolaan und Beethovenstraat ein Viertel für die bessergestellten Amsterdamer. Für beide Teile hatte Stadtplaner Berlage in seinen Entwürfen luftige Bebauung und breite Boulevards vorgesehen.
    1920, als die Erschließung begann, machten noch Zugvögel auf den weiten stillen Flächen Rast. Vor der Bebauung mussten das feuchte Grasland, die Gräben und Felder 1,20 Meter hoch mit Sand aufgefüllt werden. 150 Mann arbeiteten für diese Sandauffüllung in zwei Schichten von vier Uhr morgens bis zehn Uhr abends. Erst als ihr Werk getan war, kamen die Bauarbeiter – und mit ihnen ausschließlich Architekten der Amsterdamer Schule. Monne de Miranda protegierte sie gegen alle aufkommende Kritik. Es ist heute noch ein Genuss, durch Amsterdam Zuid zu gehen.
    Einen Monat, bevor in der Hauptstadt das neue Viertel eingeweiht wurde, hatte Königin Wilhelmina wie jedes Jahr in Den Haag das Parlament der Niederlande, die Generalstaaten, eröffnet. Von ihrem Palais fuhr sie am 18. September 1929 in ihrer goldenen Kutsche, begleitet von Tochter und Ehemann, durch die Stadt, um im prächtigen Rittersaal die politischen Perspektiven der Regierung für die nächsten Monate vorzutragen. Nach fünf Minuten war alles vorbei. Die Koalition der Konfessionsparteien hatte der Königin aufgeschrieben, dass »der Zustand von Handel und Industrie in mancher Hinsicht Anlass zu Dankbarkeit gibt«. Als höchstes Ziel einer Politik, die staatliche Eingriffe in den wirtschaftlichen Prozess strikt ablehnte, galt weiter Sparsamkeit – »das finanzielle Gleichgewicht soll erhalten bleiben«.
    Am 25. Oktober 1929, einem Freitag, stand in der Morgenausgabe vom Algemeen Handelsblad auf Seite 8 eine Meldung über »Die Purzelbäume an der New Yorker Börse«. Der Korrespondent sah die Entwicklung positiv: »Ein Unwetter frischt die Atmosphäre auf.« In der Abendausgabe hieß es über die Amsterdamer Börse an diesem Tag, der als »Schwarzer Freitag« in die Geschichte eingehen würde, »Ruhig mit eher fester Tendenz«. Erst vier Tage später meldete die Zeitung aus New York »völlige Demoralisierung«, und es könne nicht ausbleiben, »dass diese Ereignisse ernste Auswirkungen haben werden«.
    Für die Niederlande schien ein Krisen-Szenario dennoch außer Reichweite. Seit Mitte der zwanziger Jahre hatte sich die Konjunktur solide auf hohem Niveau gefestigt. In Amsterdam meldeten sich im Sommer 1929 genau 7586 Menschen als arbeitslos, das bedeutete praktisch Vollbeschäftigung. Die Menschen in der Hauptstadt genossen weiterhin das breite Unterhaltungsangebot. 32 Kinos gab es inzwischen in Amsterdam, zehn allein in der Kalverstraat. Der Kinopalast Tuschinski hatte weiter die Nase vorn und nahm erstmals Tonfilme ins Programm. Wenn die Kultband The Ramblers im Carlton Hotel oder im La Gaîté im Tuschinski-Komplex die neueste Tanzmusik

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