Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Gästen das neue Amstelparkbad. (Heute heißt es De Miranda-Bad.) Doch insgesamt geht die Arbeitslosenkurve weiter nach oben: 1932 sind rund 40 000 und 1933 weitere 5000 Menschen ohne Arbeit. Und mit der Arbeitslosigkeit steigt die Unruhe in der Hauptstadt.
1933, am 17. März, ist im zum Kino umgebauten Rembrandttheater Premiere des deutschen Ufa-Films »Morgenrot«. Ein linkes Aktionskomitee hat zu Protesten aufgerufen. Am Premierentag drängt die Polizei Zwischenrufer – »Bluthunde«, »Schande« – aus den Vorstellungen. Stinkbomben fliegen, weiße Mäuse werden im Publikum ausgesetzt. Draußen geht die Polizei zu Pferde mit Säbel und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor. Mit jedem Tag nehmen die Proteste auf dem Rembrandtplein zu. Am 24. wird der Film aus dem Programm genommen. Das Argument der Protestierenden: der Film sei ein »unerträgliches Stück faschistischer Kriegspropaganda«, weshalb ihn der neue deutsche Reichskanzler einen Tag nach seiner Ernennung in Berlin angesehen habe. Der neue Mann an der Spitze der deutschen Reichsregierung hieß seit dem 30. Januar 1933 Adolf Hitler, Führer der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei. Reichspräsident Hindenburg und konservative Politiker hatten ihm ganz legal zur Macht verholfen.
Als in Amsterdam »Morgenrot« anlief, hatten die Niederlande schon die ersten indirekten Folgen der nationalsozialistischen Politik zu spüren bekommen. Am 17. Februar 1933 brannte in Berlin der Deutsche Reichstag. Die NS -Regierung beschuldigte die Kommunisten und begann umgehend, linke Politiker und Intellektuelle zu verhaften. In den Niederlanden treffen die ersten deutschen Flüchtlinge ein.
Am 1. April 1933 riefen die Nationalsozialisten in Deutschland zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Auslagen wurden zerstört, Scheiben beschmiert und eingeschlagen, jüdische Geschäftsleute festgenommen. Nur fünf Wochen später, am 10. Mai, loderten vor der Kroll-Oper in Berlin die Flammen: Studenten warfen die Werke deutscher Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler ins Feuer. Wieder flohen Menschen aus Deutschland, diesmal zu Tausenden – jüdische wie nichtjüdische Schriftsteller, Gelehrte, Künstler, die in ihrer Heimat um ihre Würde, um ihre Freiheit, um ihr Leben fürchten mussten.
Im ersten Halbjahr 1933 passierten rund 15 000 Flüchtlinge aus Deutschland die Grenze ins benachbarte Holland. Sie brauchten kein Visum, und wer arbeiten wollte, hatte freie Bahn. Die meisten Flüchtlinge zogen bis Jahresende weiter oder kehrten nach Deutschland zurück. Bis Dezember hatten sich in Amsterdam offiziell 2104 Deutsche bei der Polizei angemeldet, die an der Amstel einen neuen Start wagten. Der jüdische Bankier Otto Frank aus Frankfurt am Main war einer von ihnen. Im Sommer 1933 ging der Vierundvierzigjährige in die Niederlande und versuchte, als Unternehmer mit einer Konzession für das berühmte Marmeladen-Geliermittel Opekta Fuß zu fassen. Im Dezember bezog Otto Frank mit seiner Frau Edith eine helle moderne Wohnung in Amsterdam Zuid, Merwedeplein 37. Kurz vor Weihnachten brachten Verwandte die siebenjährige Tochter Margot; im Februar 1934 war auch die vierjährige Tochter Anne mit der Familie in Amsterdam vereint.
Zu den Flüchtlingen, die Amsterdam wieder verließen und nicht als dauerhaftes Exil wählten, gehören Schriftsteller wie Joseph Roth, Irmgard Keun, Klaus Mann, Hermann Kesten. Aber auch, wenn sie nicht blieben, fanden sie und weitere deutsche Autoren, die in Deutschland nicht mehr publizieren durften – darunter Heinrich Mann, Alfred Döblin, Stefan Zweig, Anna Seghers –, in der Hauptstadt der Niederlande eine neue Heimat für ihre Werke. Die angesehenen Amsterdamer Verlage Querido und Allert de Lange gründeten eigene deutschsprachige Verlage, in denen zwischen 1933 und 1940 insgesamt rund zweihundert Bücher von neunundneunzig deutschen Autoren erschienen.
Ohne Resonanz blieb in den Niederlanden eine Gruppierung am rechten politischen Rand, die im Dezember 1931 in Utrecht als Nationalsozialistische Bewegung ( NSB ) gegründet worden war. Ihr »Führer«, der siebenunddreißigjährige Anton Adriaan Mussert, war Ingenieur bei der Wasserbaubehörde, ein unauffälliger Typ. Seine Botschaft: die Demokratie sei von gestern, dem Faschismus gehöre die Zukunft.
Bis zum Jahresanfang 1933 hatte die rechtsradikale Partei nur knapp tausend Mitglieder. Dann jedoch schnellten die Zahlen nach oben: Im Juni meldete die NSB rund
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