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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Näherinnen nicht begreifen«, sagt sie und bleibt.
    Zurück zur Familie, wo jetzt auch noch die Großeltern von Louis de Jong mütterlicherseits sitzen, fertig für die Reise. Doch es fahren keine Züge mehr, und in der Taxizentrale hebt niemand ab. Plötzlich fährt ein Taxi die Straße entlang. Es ist frei. Aber sieben Personen gehen nicht hinein. Der Fahrer ist unerbittlich: höchstens fünf Personen. Da sagt der Enkel, dass die Ältesten zurückbleiben sollen: »Großvater und Großmutter akzeptierten die Entscheidung und kehrten seufzend ins Haus zurück. Wir stiegen ein.«
    Umwege müssen gefahren werden, weil Militärposten die Straße sperren. Am Rand von Velsen geht es nicht mehr weiter, hunderte von Menschen warten dort schon. Familie de Jong verlässt das Taxi, Louis de Jong geht zu Fuß in die Stadt und erfährt, auch hier ist der englische Konsul nicht, der allen ein Visum ausstellen soll. Zurück zu den Wartenden, die Stimmung ist verzweifelt. Es wird Mittag, als das Gerücht die Runde macht, der Bürgermeister von Beverwijk sei befugt, Visa auszustellen. Die Familie verteilt sich auf mehrere Autos, erreicht Beverwijk. Nach einer Stunde Warten: Der Bürgermeister kann keine Visa erteilen. Wieder einsteigen, wo noch Platz ist und zurück nach Velsen. Dort warten inzwischen Tausende, de Jong entdeckt alte Bekannte, darunter den Vorsitzenden der SDAP . Es wird eng, so eng, dass Louis und Liesbeth de Jong in der sich hin und her schiebenden Menge plötzlich die Eltern mit der kleinen Schwester aus den Augen verloren haben.
    Um vier Uhr nachmittags umkreist ein Polizeiauto die Menschen und fordert per Lautsprecher dazu auf, nach Hause zurückzukehren. Wer nach sechs Uhr noch angetroffen wird, aber nicht in Velsen lebt, kommt in Polizeigewahrsam. Das Ehepaar de Jong wird von einer ihnen unbekannten Frau auf eine Tasse Tee ins Haus gebeten, damit sind sie sicher vor der Polizei. Sie beschließen, abzuwarten. Dann kommt im Radio eine wichtige Mitteilung: Der Oberbefehlshaber teilt mit, dass die niederländischen Streitkräfte den Kampf einstellen.
    Jetzt kann Abwarten tödlich sein. Mit einem gleichgesinnten Ehepaar machen sich Louis de Jong und seine schwangere Frau zu Fuß auf den Weg in Richtung IJ muiden-Hafen. Ein Auto fährt an ihnen vorbei, hält an. Ein Journalistenkollege, ebenfalls auf der Flucht, hat die beiden erkannt. Liesbeth de Jong findet noch einen Platz neben den fünf Insassen, ihr Mann stellt sich rechtsaußen auf das Trittbrett. Auf dem linken Trittbrett wird ein weiterer Flüchtling mitgenommen.
    Als sie im Fischereihafen ankommen, liegt dort noch ein einziges Boot, die »Friso«, ein Küstenfahrer, mit rund zweihundert Flüchtlingen beladen. Ein Mann der Schiffsbesatzung fragt nach Dokumenten. De Jongs Bekannter zückt ein Papier, dass man das Land verlassen dürfe; auch de Jong und seine Frau, fügt er entschieden hinzu, obwohl die nicht aufgeführt sind. Die mündliche Auskunft reicht: »Wir dürfen auf das Schiff. Kurz nach acht Uhr legt es ab.« Es war Dienstagabend. Am Donnerstagmittag, es ist der 16. Mai 1940, gehen Louis und Liesbeth de Jong mit zweihundert Menschen, Juden vor allem, im sicheren England von Bord. Als Willkommenstrunk gibt es für jeden von ihnen eine Tasse Kakao. Um diese Zeit sind de Jongs Eltern und seine Schwester längst wieder zurück in ihrem Amsterdamer Heim. Ihnen ist die Flucht nicht gelungen.
    So wie Louis de Jong haben sich auch Grete und Edgar Weil am Dienstagvormittag entschlossen, über IJ muiden nach England zu flüchten. Auch sie wollen nicht ohne die Familie fahren – Edgars Eltern, Gretes Mutter und eine Freundin. Die Suche nach einem Taxi ist vergeblich. Es dunkelt schon, als eine Freundin atemlos klingelt. Sie hat ein Taxi, zwei Plätze sind noch frei. Keine Zeit zum Abwägen, zum Diskutieren. Grete Weil entscheidet: »Wir fahren mit.« Und meint ihren Ehemann und sich, wie sie Jahre später in ihrer Autobiografie schreibt.
    Sie kommen ungehindert nach IJ muiden, sehen ein Schiff, »einen Kartoffelkahn«. Das Ehepaar Weil gehört zu den ersten an Bord, »allmählich füllt sich das Schiff mit lauter verzweifelten, ratlosen Menschen«. Die Besatzung kommt und geht, Gestalten am Ufer schießen in die Luft und rufen: »Gebt euer Geld her, sonst lassen wir euch nicht fahren.« Grete Weil wird es unheimlich: »Ich will wieder herunter …«
    Schließlich sitzt das Ehepaar wieder im Taxi und fährt zurück nach Amsterdam.
    Annie und Jan

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