Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Militärverwaltung übernahm die Macht im Land. In Amsterdam wandte sich der Bürgermeister an diesem Morgen mit einer kurzen Radio-Ansprache an die Bewohner der Hauptstadt: »Ich teile Ihnen mit, dass heute Mittag deutsche Truppen in die Stadt einrücken werden. Ich zweifle nicht daran, dass die Bürger Ordnung und Ruhe auf dieselbe vortreffliche Weise handhaben werden, wie sie es bisher getan haben … Wir alle kennen unsere Pflicht … Der Geist der Ruhe und Entschlossenheit, kennzeichnend für die bewährte Amsterdamer Tradition, mögen sich in dieser Zeit bewähren. Mit Gottes Hilfe vorwärts.«
Die deutsche Armee – zu Fuß und auf Motorrädern, mit Panzern, Lastwagen und geländegängigen PKW s (Kübelwagen) – zog über die Berlage-Brücke ein. In Amsterdam Zuid teilte sich der Zug: Der eine Teil der Besatzer marschierte durch die westlichen Stadtteile direkt nach Haarlem, während der andere Teil an der Brücke rechtsum schwenkte, dem Amsteldijk folgte und in die Innenstadt zog. Stundenlang marschierten die deutschen Truppen, bis in den Abend hinein. Die Amsterdamer Polizei sorgte für Ordnung; Zwischenfälle gab es keine. Am Straßenrand standen die Amsterdamer. Einige Bewohner hoben die Hand zum Hitlergruß, doch es waren vereinzelte, zu denen die Umstehenden Abstand hielten. Die überwältigende Mehrheit der Amsterdamer erfüllten Wut, Trauer, Ohnmacht – aber auch eine gewisse Erleichterung, dass der mörderische Krieg vorbei war.
Um die Mittagszeit des 15. Mai trafen im Rathaus der Bürgermeister, seine Beigeordneten und hohe Polizeibeamte mit deutschen Offizieren zusammen. Die Niederländer gingen mit beklommenen Gefühlen in die Sitzung, fürchteten in wilden Fantasien, dass sie allesamt abgesetzt, verhaftet und in ein Lager gebracht würden. Im Protokoll über das Zusammentreffen mit den Siegern schrieb der Bürgermeister anschließend, wie angenehm das Gespräch verlaufen sei, alle Schwierigkeiten hätte man aus dem Weg geräumt. »Sehr korrekt« seien die Deutschen aufgetreten. Sie wünschten, dass die zivile niederländische Verwaltung weiter im Amt blieb. Große Erleichterung bei den Besiegten.
Als bei der Begegnung am folgenden Tag der Vertreter der deutschen Wehrmacht erklärte: »Die Polizei muss energisch werden, nicht zu gemütlich«, war der Bürgermeister einverstanden. Ruhe und Ordnung, gerade in dieser schwierigen Situation, das war auch sein Ziel. Dazu gehörte, dass »Musik, Tanz, u.s.w. wie in Friedenszeiten« stattfinden durften, dass Hamstern und überhöhte Preise verboten waren.
Vorrang für die Deutschen hatte die Einquartierung ihrer rund 3500 Mann. Für die einfachen Soldaten bot die Stadt Schulen und das geräumige Lloyds-Hotel an. Die militärische Spitze wurde im luxuriösen Amstelhotel untergebracht, später kam noch das Carlton Hotel hinzu. Die Offiziere wollten nicht in einfachen Hotels und Pensionen leben, sondern wünschten Privat-Quartiere in gehobenen Wohngegenden. Die fanden sich in den Straßen mit den feinen Villen westlich und östlich vom Vondelpark. Das deutsche Militär übernahm außerdem den gesamten Platz um das Rijksmuseum, das IJ sclub-Terrain, mit den stattlichen Häusern ringsum.
Drei Anordnungen machten die Deutschen: Ab sofort in Amsterdam jeden Abend strikte Verdunkelung aller Fenster, keine Straßenbeleuchtung, keine Lichtreklame; Fahrräder, Autos und Straßenbahnen durften nur mit schwachem Licht fahren. Zweitens galt eine Ausgangssperre für die Bewohner von Mitternacht bis um vier Uhr morgens. Drittens wurde die deutsche Sommerzeit eingeführt, die Uhren mussten um eine Stunde und vierzig Minuten vorgestellt werden.
Während man im Rathaus konferierte, bekam der Leiter des Niederländischen Nachrichtendienstes in seinem Amsterdamer Büro Besuch vom Deutschen Nachrichtenbüro ( DNB ) in Berlin: Die Leitung zum englischen Nachrichtendienst Reuters musste sofort abgeschaltet werden. Jetzt gab es von der Zentrale in Amsterdam für alle niederländischen Redaktionen – sei es Zeitungen, Zeitschriften oder Rundfunk – nur noch Meldungen vom DNB , eine Institution des NS -Propagandaministeriums. Damit war die niederländische Nachrichtenlandschaft gleichgeschaltet.
Für die Zeitungslandschaft hatten die Sieger sich etwas Raffiniertes ausgedacht. Ebenfalls um die Mittagszeit des 15. Mai gab der Chef der Presseabteilung der Deutschen Botschaft eine Pressekonferenz für die Journalisten in der Hauptstadt. Großzügig erklärte er, es gäbe
Weitere Kostenlose Bücher