Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
zusammenzuarbeiten und dadurch der Bevölkerung so viel wie möglich zu helfen.« Die Bevölkerung andererseits habe »die Pflicht, die Befehlshaber zu unterstützen, indem sie Ruhe und Ordnung bewahrt und sich aller Handlungen enthält, durch die die normalen Verhältnisse gestört würden«. Am 21. Mai ging ein geheimer deutscher Bericht nach Berlin: »Die niederländischen Verwaltungsstellen- sowie die -organisationen haben sich überall den Dienststellen der deutschen Militärverwaltung unterstellt und sind zu loyaler Mitarbeit bereit.«
Am 22. Mai 1940, eine Woche nach der Kapitulation, schreibt die Zeitung De Telegraaf in Amsterdam: »Unsere Theater sind geöffnet, die Kinos geben ihre gewohnten Vorstellungen, die Straßenbahnen fahren, die Menschen atmen auf. Die Flasche mit Milch steht wieder auf der Treppe, der Bäcker klingelt mit den Brötchen, die Zeitung steckt im Briefkasten. Die Vögel in den Bäumen haben ihre Ruhe wiedergefunden. Wenn am Himmel ein Flugzeug erscheint, fährt jeder ruhig mit seiner Arbeit fort. Die Kinder spielen auf der Straße und finden es schön, dass sie wieder in die Schule gehen.« Dann folgen ein paar sentimentale Zeilen: »Willem, komm zurück … Die Amsterdamer, die ganzen Niederlande, warten auf Willem Mengelberg … Der Aufbau hat begonnen. Wir haben Musik nötig.«
Der Appell ging an Willem Mengelberg, den Dirigenten des Concertgebouw-Orchesters, der sich bei Ausbruch des Krieges in einem Schweizer Sanatorium befand. Der Artikel wird Mengelberg geschmeichelt haben. Der populäre Orchester-Chef hatte seine zahlreichen Auftritte in Hitler-Deutschland mit dem Argument verteidigt, Musik sei unpolitisch, aber in den Augen vieler Amsterdamer an Ansehen verloren. Diese Zeilen rehabilitierten ihn und stützten seine These: Ob in der Demokratie oder in der Diktatur, ein Dirigent schwebt dank der Musik über allem. Willem Mengelberg kam zurück, und die Amsterdamer strömten zu den Konzerten ins Concertgebouw.
Die Zeit der Militärverwaltung währte nur drei Tage. Am 18. Mai 1940 verfügte Hitler in einem Führererlass, die Militärverwaltung durch einen zivilen »Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete« abzulösen. Aus Krakau wurde Arthur Seyß-Inquart, seit dem Sieg über Polen Stellvertreter des deutschen Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete, nach Berlin beordert. Wenig später rief er seine Frau in Wien an. »Du, Trude, der Führer will, dass ich Tulpen pflanze.« Der achtundvierzigjährige Seyß-Inquart war geborener Österreicher; als angesehener Rechtsanwalt in Wien hatte er sich in den zwanziger Jahren bei den österreichischen Nationalsozialisten engagiert. 1938 betrieb der promovierte Jurist als Kanzler der Republik Österreich den Anschluss des Landes an das Deutsche Reich und wurde erster Reichsstatthalter in Österreich, bevor er auf seinen Posten ins besetzte Polen ging.
Der neue Reichskommissar war direkt dem Führer unterstellt und Alleinherrscher im besetzten Holland; er allein »konnte durch Verordnung Recht setzen«. Für die tägliche Arbeit wurden vier Generalkommissare, zwei Deutsche, zwei Österreicher, ernannt – für Justiz und Verwaltung, Finanzen und Wirtschaft, Sicherheitswesen und Polizei und einer nur für die Belange der NSDAP . Am 26. kamen Seyß-Inquart und seine Mitarbeiter in Den Haag an, in ein Land, das keiner von ihnen je zuvor gesehen hatte.
29. Mai – Der Bevölkerung war mitgeteilt worden, dass um 12 Uhr mittags im Rittersaal in Den Haag die oberste Regierungsgewalt der Niederlande auf den deutschen Reichskommissar übergehen würde. Der gotische Rittersaal befindet sich in einem historischen Gebäudekomplex im Stadtzentrum, dem Binnenhof. Der Baubeginn liegt im 13. Jahrhundert, und bis zum Ende des 20. Jahrhunderts waren Parlament und Regierung hier untergebracht. Seit 1904 und bis heute hält die Königin jährlich am dritten Dienstag im September, dem Prinsjesdag, im Rittersaal ihre Thronrede und verkündet damit das Programm der jeweiligen Regierung. Die machtbewussten Sieger aus Deutschland scheuten sich nicht, an diesem symbolträchtigen Ort genau zwei Wochen nach der Kapitulation den Besiegten ihr Programm zu verkünden.
Das Publikum, das ab zehn Uhr zum Binnenhof kam, sah, wie bei lauem Mai-Regen insgesamt drei Kompanien deutscher Soldaten nebst einem Musikkorps einmarschierten und sich in Richtung Rittersaal aufstellten. Im Innern war das Podium, wo man den Thron entfernt
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