Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
für das Haus Oranien nicht mehr geduldet. Am 31. August ist der Geburtstag von Königin Wilhelmina. Einen zweiten »Nelkentag« soll es nicht geben.
Am 5. Juli folgt eine umfassende Filmzensur. Es dürfen nur noch Filme gezeigt werden, die in besetzten niederländischen Gebieten hergestellt oder für das Großdeutsche Reich freigegeben wurden. Zudem müssen alle niederländischen Filme der dreißiger Jahre zwischen Juli und August durch die deutsche Zensur. Anschließend können die Amsterdamer in ihren Kinos feststellen, was gestrichen wurde: alles, was an das Königshaus erinnert und alle Verweise auf das niederländische Heer, denn die Besatzer fürchten im Schutz der Dunkelheit Reaktionen des Publikums, die »nicht der öffentlichen Ordnung zuträglich« sind. Außerdem fehlen in Vorspann und Abspann alle jüdischen Mitarbeiter. Ob es eine direkte Konsequenz ist, bleibt unbeweisbar: Auf jeden Fall gehen die filmbegeisterten Amsterdamer im Sommer 1940 erheblich weniger ins Kino als die Jahre zuvor.
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli nimmt sich der Verlagsdirektor der »Arbeiterpresse« an seinem Arbeitsplatz das Leben, nachdem am Tag unter dem Schutz der deutschen Besatzer NSB -Mitglieder die Redaktionen besetzt haben. Der sozialdemokratische Verlag am Nieuwezijds Voorburgwal, wo damals alle Tageszeitungen zuhause sind, ist ein traditionsreicher stolzer Konzern, der Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Schriften im Dienst einer linken demokratisch-humanistischen Idee herausgibt.
Drei Tage später bietet ein radikaler NSB -Führer, von den Besatzern zum Kommissar für die »marxistischen Parteien« ernannt, der sozialdemokratischen Partei an, »am Wiederaufbau des Landes mitzuarbeiten«. Im Verlauf des Gesprächs zeigt sich Koos Vorrink, Vorsitzender der SDAP , einem solchen Ansinnen nicht abgeneigt – unter einer Voraussetzung: »Wenn morgen in den Niederlanden die Freiheit der Versammlung, die Freiheit der Presse, die Freiheit des Gewissens wiederhergestellt wird«. Am nächsten Tag, dem 24. Juli, werden vom Reichskommissar alle Parteien, außer der NSB , verboten und alle parlamentarischen Institutionen ihrer Funktionen enthoben. Die demokratischen Parteien vernichten ihre Mitgliederlisten, ihre Anhänger versuchen auf privater Ebene Kontakt zu halten. Ein Pfeiler der niederländischen Demokratie zerbröselt lautlos auf der politischen Bühne.
Von Berlin aus schärfte Adolf Hitler seinen politischen Mitstreitern ein, den Lebensstandard der Niederländer nicht unter den der Deutschen sinken zu lassen, gemäß der Devise »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«. Reichskommissar Seyß-Inquart war bemüht, mit dieser Lockvogel-Strategie die Akzeptanz der Niederländer für den Nationalsozialismus zu gewinnen. Tatsächlich sollte es ihnen unter den deutschen Besatzern erst einmal wirtschaftlich besser gehen als in den dreißiger Jahren zuvor.
Am 11. Juni ordnete der Reichskommissar an, dass alle Entlassungen in niederländischen Betrieben nach dem 10. Mai – dem Tag des Überfalls – hinfällig seien, und es in Zukunft überhaupt keine Entlassungen mehr geben dürfe. Zugleich kümmerte er sich persönlich darum, dass Aufträge, die in Deutschland nicht mehr von Deutschen erledigt werden konnten, weil immer mehr Arbeitskräfte als Soldaten eingezogen wurden, an holländische Unternehmen weitergereicht wurden. Noch im Juni kam es zu einer grundlegenden Übereinkunft zwischen dem niederländischen Metall-Verband und der deutschen Wehrmacht: Die Wehrmacht stieg in alle Verträge ein, die vor dem Krieg zwischen der niederländischen Armee und einheimischen Betrieben abgeschlossen worden waren und nun brach lagen.
Dabei ging es ausschließlich um die Herstellung von Waffen und Kriegsgerät für die deutsche Kriegsmaschinerie. Auf Rückfrage vom Metall-Verband – ob man nach dem Krieg vielleicht Ärger bekommen könnte – hatten die Generalsekretäre der niederländischen Ministerien in Den Haag ihren Segen zu diesem Deal gegeben. Bei den Amsterdamer Werften und Hafenindustrien füllten sich mit dem Sommer die Auftragsbücher. Riesengroß war unter anderem die Nachfrage der deutschen Wehrmacht nach Uniformen, Stiefeln, Lederwaren. Der Aufschwung erfasste die gesamte niederländische Wirtschaft, die vor allem aus kleinen und mittleren Betrieben bestand. Jeder Chef wusste, wenn er Aufträge der Wehrmacht ablehnt, wird die Konkurrenz zugreifen, oder die Arbeiter im Betrieb werden Druck machen,
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