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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Nachrichtenbrief«, und noch im gleichen Monat hat Frans Goedehart für sein illegales Flugblatt aus dem Untergrund einen kleinen Kreis von Mitkämpfern gewonnen. Er allein verfasst den Text, alle teilen die Unkosten für Papier, Umschläge und die Arbeit am Vervielfältigungsapparat, der jeden Samstag im Gartenhaus an der Rückseite eines Grundstücks an der Keizersgracht in Aktion ist. Im Schutz der hohen Gartenmauer werden anschließend Papierreste und Matrizen verbrannt, und die Asche penibel mit der Erde verstampft. Dann verteilen die Männer den »Nachrichtenbrief« in Briefkästen, Treppenhäusern und Toreinfahrten. Die deutsche Sicherheitspolizei ist über das »gehässige« Flugblatt schnell informiert.
    Unabhängig von dieser Aktion beschließt Frans Hofker, beim Amsterdamer Telefondienst angestellt, im August etwas zu tun »gegen die Lügen der Besatzer«, die von der Presse unkommentiert verbreitet werden. Für sein Flugblatt-Vorhaben gewinnt der Zwanzigjährige alte Schulfreunde. Sie steuern Geld für einen Vervielfältigungsapparat bei; Mitte September 1940 erscheint erstmals Vrij Nederland: »Unser Land soll keine deutsche Provinz werden! Es lebe das Vaterland! Es lebe das Königshaus! Es leben unsere Bundesgenossen!« Von den vier Seiten werden fürs erste nur 130 Exemplare verteilt. Um Eindruck zu machen, steht auf dem illegalen Flugblatt, es habe eine Auflage von »1001«.
    Es gibt ermunternde Reaktionen auf das Untergrundblatt »Freie Niederlande« und Nachfragen aus anderen Städten. Frans Hofker bekommt Unterstützung von einer Gruppe junger Erwachsener, die sich in einer protestantischen Gemeinde Amsterdams engagieren. Vrij Nederland wird professioneller und auf eine breitere Basis gestellt. Doch die beiden illegalen Flugblatt-Projekte sind kleine Sandkörner im Getriebe der Hauptstadt mit ihren rund 750   000 Bewohnern. Solche Aktionen zu wagen und durchzuhalten, dazu gehörte im Sommer 1940 ein ganz starker Idealismus.
    Auch die Unterhaltung, die Amsterdam unter den Besatzern in Theatern und Cafés bietet, spricht für eine pragmatische Einstellung; wie es scheint, auch bei den Besatzern. Im Broadway-Café wird weiterhin Jazzmusik gespielt, mit schwarzen Musikern in der Band. Mitte August 1940 gibt es im Theater Carré, nicht weit von der Magere Brug, eine in doppelter Hinsicht erstaunliche Premiere: Gespielt wird die amerikanische Operette »Rose Marie«, nach der Uraufführung 1924 am Broadway eine der erfolgreichsten in New York, London und Paris. Die Hauptrolle im Theater Carré spielt der populäre niederländische Schauspieler, Kabarett- und Filmstar Sylvain Poons, 1896 in Amsterdam in eine jüdische Schauspieler- und Sängerfamilie geboren. Wieder fühlen sich alle bestätigt, die nach der Besetzung im Hinblick auf die Verfolgung der Juden in Hitler-Deutschland erklärten: »Nicht bei uns! Die niederländischen Juden sind und bleiben Teil der niederländischen Nation.«
    Schon Mitte Juli hatte Hendrik Jan Smeding in sein Tagebuch geschrieben, dass »jeder auf den großen Angriff auf England wartet … Amsterdam sieht aus wie eine deutsche Garnisonsstadt«. Die ursprünglich rund 3500 deutschen Soldaten in der Hauptstadt waren auf knapp 15   000 aufgestockt worden. Im August folgten praktische Konsequenzen für die Amsterdamer: Die Ausgangssperre wurde von Mitternacht auf 22 Uhr vorverlegt, die Cafés mussten um 21 Uhr 30 schließen. Danach fuhr keine Straßenbahn mehr. Theater und Kinos passten sich an, legten die ersten Vorstellungen auf die Mittagsstunden. Auch ein öffentliches Tanzverbot hatten die Besatzer erlassen.
    Immer wieder kam es zu Schlägereien in den Straßen und auf den Plätzen der Innenstadt. Die niederländischen Rechtsradikalen provozierten mit antisemitischen Parolen und Schildern empörte Passanten; Amsterdamer Polizisten und die »Grünen« griffen durch. Bei Nacht hallten die Stiefel von deutschen Soldaten durch die dunklen leeren Straßen, denn für die Besatzer galt keine Sperrstunde. Manch einer hatte ein meisje, ein Mädchen, dabei. In den ersten Monaten machten sich Amsterdamer Polizisten, die nachts patrouillieren durften, ein Vergnügen daraus, diese Mädchen auf die nächste Polizeistation zu bitten. Dort mussten die jungen niederländischen Frauen zum Ärger ihrer deutschen Soldaten-Freunde bis morgens um vier Uhr, dem Ende der Ausgangssperre, bleiben. Bald allerdings bekamen die Polizisten einen Wink von oben, solche »Überkorrektheiten« in

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