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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Der elegante Große Saal im Konzertgebäude am südlichen Rand vom Museumsplein war überfüllt, als unter anderem Beethovens Neunte Sinfonie erklang – »Alle Menschen werden Brüder …«. Nach dem letzten Ton brach ein Applaus los, der zu einer nicht enden wollenden stürmischen Demonstration anschwoll. Die Menschen im Publikum fielen sich weinend in die Arme, winkten mit Taschentüchern den Musikern zu, die langsam, einer nach dem anderen, von der Bühne gingen.
    Die Deutschen nutzten das Concertgebouw bevorzugt als Propaganda-Instrument, um den Amsterdamern zu vermitteln, dass unter dem Dach der Kultur die Gegensätze in den Hintergrund treten. Am 29. April war Bürgermeister Voûte Ehrengast von Reichskommissar Seyß-Inquart bei einem Konzert der Düsseldorfer Kammermusikvereinigung. Und wie zum Beweis ihrer Weltläufigkeit hatten die Besatzer nichts dagegen, dass zwei Tage zuvor über 2000 junge Menschen das »Zweite Music-Hall Fest« im Concertgebouw erlebten. Zu den Orchestern, die auftraten, gehörte die Kultband The Ramblers und der farbige Amerikaner Freddy Johnson, der aus den besten niederländischen Jazzmusikern ein Orchester zusammengestellt hatte.
    Die Alltagssorgen wurden deshalb nicht weniger. Ab April gab es Fahrradschläuche nur noch »auf Bon«. Neben dem Bezugsschein musste für den neuen Schlauch zudem ein alter abgegeben und nachgewiesen werden, dass der Weg zur Arbeit mindestens fünf Kilometer betrug. Erstmals wurden Bezugsscheine für Sandalen und leichte Sommerschuhe verteilt. Das Angebot für feste Schuhe wurde so knapp, dass theoretisch für jeden Niederländer ab sofort nur alle sechs Jahre ein Paar zur Verfügung stand.
    Kein Wunder, denn die niederländische Schuhindustrie lieferte pro Monat 100   000 Paare an die deutsche Wehrmacht – wofür sie gut bezahlt wurde. Überhaupt kamen aus der Wirtschaft insgesamt keine Klagen. Siebzig Prozent der Industriearbeiter arbeiteten für die Besatzer. Die Bauwirtschaft boomte, denn die höchsten niederländischen Beamten hatten den Besatzern einen Freibrief ausgestellt: Die Deutschen durften ganz legal Flugplätze und Luftwaffenstützpunkte im Land ausbauen, obwohl das kriegstreibend war. Aber es brachte Beschäftigung für die niederländischen Arbeiter und sehr gute Löhne.
    Und bei allem Murren über die vermehrten Bezugsscheine: Das System war zwar kompliziert, jedoch gerecht, und wurde weiterhin ausschließlich von Niederländern organisiert. Der Lebensstandard war nicht gesunken und die Nahrungsmittelsituation insgesamt zufriedenstellend. Auch wenn die Niederländer das »gesunde« dunkle Brot verabscheuten, das ihnen die Besatzer an Stelle des weißen vorschrieben.
    Im Frühjahr 1941 finden sich noch Amsterdamer Restaurantkritiken in den Tageszeitungen. De Tijd lobt das Ristorante Roma und seine Spaghetti: »Man bekommt dort für einen redlichen Preis eine wirklich umfassende und vortrefflich zubereitete Mahlzeit.« In De Telegraaf wirbt das Lokal Capri in der Kerkstraat mit einer Anzeige auf Deutsch: »In Capri isst man gut und fein / Man trinkt dort den besten Wein / Wenn auch man fern von seinen Leut’ / In Capri man sich immer freut«. Probleme gab es mit der beliebten Indischen Reistafel, zu der traditionell 28 Gewürze gehörten. Immer weniger Lokale konnten sie anbieten, weil die Gewürze ausgingen; die Handelsrouten nach Asien waren vom Krieg blockiert. Nur Sambal war in bestimmten Geschäften noch vorrätig. Im Mai ordnete das Reichsbüro für Ernährungsangelegenheiten an, dass die Hotels ein butter- und fleischloses Frühstück anbieten. Dienstag und Freitag blieben die Restaurant-Küchen ohnehin fleischlos, Huhn und Wild inbegriffen. Nur bei Hochzeiten und ähnlichen Festen durfte eine Ausnahme gemacht werden.
    Am 3. Juni explodierte in Amsterdam Zuid eine Bombe und beschädigte ein Gebäude, das die Wehrmacht beschlagnahmt hatte. Die Tat eines Einzelnen, doch für die Deutschen galt: Wehret den Anfängen. Der Amsterdamer SD -Chef Willy Lages erhielt den Auftrag, mit Razzien rund 300 jüdische Männer festzunehmen; sie sollten in deutsche KZ s überstellt werden. Die negative Wirkung der öffentlichen Februar-Razzien auf die Bevölkerung noch in Erinnerung, modifizierte Lages diesen Plan: Da die Amsterdamer Polizisten einen Vertrauensvorschuss besaßen, sollten sie die Männer verhaften, und zwar in den Wohnungen.
    Unter einem Vorwand erschlich sich Lages vom Jüdischen Rat eine Liste mit Namen und Adressen von 300

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