Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
nach dem fröhlichen Streiktag am 25. Februar: der Terror deutscher Polizisten in den Straßen Amsterdams, die Verhaftungen und Todesurteile. Gegen solche Gewalt Widerstand zu leisten, schien sinnlos.
Im März und Mai wurden die »Wirtschaftsentjudungsverordnung« und die »Grundstücksentjudungsverordnung« erlassen. Juden mussten alles angeben, was sie an Grundstücken und Geschäften besaßen. Anhand dieser Informationen wurden sie wenig später enteignet und verloren das Vermögen an die Besatzer. Am 15. April 1941 erging die Verordnung, dass alle Juden umgehend ihre Radios »in unbeschädigtem Zustand« abliefern mussten. (Das entsprechende Verbot für Deutschland war 1939 ergangen.) Für das Judenviertel der Innenstadt war die Polizeistation am Jonas Daniel Meijerplein der Sammelplatz. Zwei Radios wurden abgeliefert – von gut fünftausend. Die Amsterdamer Polizei hakte nicht nach, durchsuchte keine Wohnungen.
Noch vertrauten die Amsterdamer Juden ihrer Polizei. Als im Laufe des Mai immer mehr Familien Todesanzeigen aus Buchenwald erhielten, von Verwandten, die bei den Februar-Razzien weggeschleppt worden waren, erschienen verzweifelte Angehörige im Revier am Jonas Daniel Meijerplein. »Sie zeigten uns die Karten«, erinnerte sich später ein Polizist, »und fragten uns: ›Was halten Sie davon?‹ … Sie sagten: ›Aber er war doch kerngesund und ist dort schon nach einer Woche gestorben.‹ Dieser unglaubliche Kummer.«
Bis Ende Mai wurden die Namen von 77 Männern bekannt, die bei den Razzien am 22. und 23. Februar um den Waterlooplein gewaltsam aufgegriffen worden waren, weil sie Juden waren. Gestorben im KZ Buchenwald, angeblich an akuter Herzschwäche, Lungenentzündung, Magen- und Darmerkrankungen. Tatsächlich ermordet: zu Tode gequält, den unmenschlichen Bedingungen im Lager erlegen. Von den 350 Verhafteten, die Buchenwald überlebten, wurden 348 im Sommer weiter nach Österreich verlegt, ins berüchtigte Lager Mauthausen. Dort werden sie alle ermordet oder in den höllischen Steinbrüchen in den Tod getrieben.
Am 1. Mai trat eine Verordnung in Kraft, die einem Berufsverbot für jüdische Ärzte, Rechtsanwälte, Hebammen und Apotheker gleichkam. Sie durften keine »arischen« Patienten und Kunden mehr haben, behielten aber großzügig »die Freiheit«, für Juden zu arbeiten. (Ähnliche Verbote waren in Deutschland zwischen 1935 und 1938 erlassen worden.) Am letzten Tag des Mai 1941 wurden alle Schwimmgelegenheiten »für Juden verboten« – in Schwimmbädern, offen und überdacht, ebenso wie in Seen oder am Meer. Auch öffentliche Parks durften Juden nicht mehr betreten. Traurig, das Verbotsschild am Eingang zum Vondelpark zu sehen. Aber gab es nicht immerhin noch andere Orte, wo sie sich vergnügen konnten?
Und die Besatzer taten alles, um das Gesamtbild der Diskriminierungen unklar und mehrdeutig erscheinen zu lassen. Bei der deutsch-jüdischen Revuetruppe Die Prominenten, die den ganzen Februar durch gespielt hatte, saß im Beatrix-Theater weiterhin ein »gemischtes« Publikum im Saal. Am 21. März hieß die Vorstellung »Fröhlicher Abschied«. Sie war so erfolgreich, dass am 10. April mit der Premiere »Da capo!« eine weitere Saison eröffnet wurde. Von den deutschen Herren kamen keine Einwände.
Im gleichen Monat konnte es geschehen, dass sich die Revue-Besucher vor der Apollohalle in getrennten Reihen wiedersahen. Dort wurden die Personalausweise ausgeteilt, deren erstmalige Einführung für die Niederländer die Besatzer schon im Sommer 1940 mit Zustimmung des niederländischen Innenministeriums angeordnet hatten. Anerkennend lobten die Experten in Berlin, dass die neue niederländische Kennkarte noch fälschungssicherer war als der deutsche Ausweis. Vor der Apollohalle mussten die jüdischen Amsterdamer in einer getrennten Reihe für den Ausweis Schlange stehen. Zwei Monate später wurden sie mit ihrem Ausweis ins Einwohnermeldeamt befohlen und bekamen ein zweifaches großes schwarzes »J« hineingestempelt. (In Deutschland geschah diese perfide Kennzeichnung 1939.) Alle Niederländer mussten ihren Personalausweis stets bei sich tragen, um auf Nachfrage von den Besatzern kontrolliert zu werden.
Am 19. April erreichte die Geschäftsführung des Concertgebouw ein Brief der Besatzer, der eine »Arisierung« des Orchesters und damit eine Entlassung der sechzehn jüdischen Musiker forderte. Am 8. Juni spielte das Concertgebouw-Orchester zum letzten Mal in der alten Besetzung.
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