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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Geschmack von Freiheit zurück.

VII
    Politikmüde – Salamitaktik der Diskriminierung – Abschied im Concertgebouw – Surrogat-Rezepte – »Li-Ro« Raubbank – Het Parool: Widerstand ohne Netz – Hollandsche Schouwburg: Insel jüdischer Kultur – Subventionen gegen Freiheit
    Mitte März bis 31. Dezember 1941
    Der neue Amsterdamer Bürgermeister, von den Deutschen ins Amt gebracht, ließ Hans Böhmcker in den ersten Märztagen mitteilen, die Vorschläge, nichtjüdische Bevölkerung und nichtjüdische Unternehmen aus dem Judenviertel in andere Stadtteile umzusiedeln, sei von der Verwaltung geprüft und »für undurchführbar erklärt« worden. Der Vertreter des Reichskommissars für Amsterdam wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen.
    Die genauen Statistiken über die jüdische Bevölkerung der Innenstadt, die Böhmcker Mitte Januar angefordert hatte, zeigten, dass in dem von den Deutschen am 20. Februar abgetrennten Gebiet 7062 Juden und 5690 Nichtjuden lebten. Es gab dort 689 jüdische und 452 nichtjüdische Betriebe. Es sei deshalb unmöglich, so die städtischen Beamten, ein Getto zu errichten, »ohne die ganze Stadt durcheinanderzubringen«. Und ob man wirklich knapp 6000 christliche Menschen zwingen wolle, ihre Wohnungen, Häuser, Arbeitsplätze und vertrauten Quartiere zu verlassen?
    Das Wort »Getto« tauchte in weiteren Schreiben der Besatzer nicht mehr auf. Mitte März durften vier Straßenbahnen das abgeschlossene Gebiet wieder passieren. Im Mai waren die Stacheldrahtabgrenzungen eingerollt. Auch wenn die Schilder »Judenviertel/Joodsche Wijk« stehen blieben und an zentralen Punkten weiterhin deutsche Polizeiposten kontrollierten, änderten der Reichskommissar und seine Mitarbeiter die Gangart und setzten vorerst auf »Deklassierung« und Isolierung der Juden. Dabei beobachteten sie genau, ob die Amsterdamer die Lektion der Februartage gelernt hatten, und sie konnten zufrieden sein.
    Mehr denn je strömten die Menschen in Lokale und Cafés, Theater und Vergnügungsstätten. Im Theater Carré gastierte Zirkus Karl Strassburger aus Deutschland. Mit der Rückverlegung der Ausgangssperre und den Straßenbahnfahrten bis 23 Uhr füllten sich Straßen und Plätze wieder. Immer noch warfen WA -Trupps pro Woche zehn bis zwanzig Scheiben ein. Doch die Umstehenden ließen sich nicht mehr provozieren, sie waren der Politik müde. Das Judenviertel blieb für die Nazis ohnehin tabu, die Besatzer wollten Herren der Lage sein, und so blieb der große Terror aus. Die Zahl der Kinobesucher allerdings ging zurück, vielleicht waren den Amsterdamern zu viele deutsche Filme im Programm. Dafür nahm der Kartenverkauf für Sportveranstaltungen stetig zu.
    Im April fanden in der Apollohalle die niederländischen Meisterschaften im Eislauf statt, und im Café Dubois, Ceintuurbaan 105/109, die nationalen Billard-Meisterschaften. Die Besatzer hoben das Boxverbot wieder auf, eine sehr beliebte Sportart in der Hauptstadt. Am 11. April startete unter den Amsterdamer Schulen ein Fußball-Wettbewerb. Was die Amsterdamer bedauerten: dass am 7. April ein Tanzverbot erging, weil deutsche Soldaten auf dem Balkan in einen Krieg zogen. Immerhin: Tanzkurse waren weiter erlaubt.
    Apropos Tanzen: Am 2. April hatte der niederländische Leiter des neu gegründeten Ministeriums für Volksaufklärung und Künste – eine Kopie des Berliner Propagandaministeriums – rund 400 Tanzlehrer ins feine Hotel Krasnapolsky gerufen. Er kündigte an, dass bis zum Jahresende in den Tanzschulen nur noch Lehrer unterrichten dürften, »die ganz von niederländischem und germanischem Blut sind«. Am 10. März hatte der Amsterdamer Schwimmklub AZ 1870 an seine jüdischen Mitglieder geschrieben, man habe vom Schwimmbad am Heiligeweg die Mitteilung bekommen, dass ab sofort für Juden kein Einlass sei: »Im Zusammenhang damit tut es uns leid, dass wir Ihnen sagen müssen, dass wir Sie ab morgen nicht mehr auf unserm Übungsabend empfangen können.« Das offizielle Verbot für Juden, die Schwimmbäder der Hauptstadt nicht mehr zu betreten, wurde von den Besatzern erst am 31. Mai 1941 erlassen. Aber warum sollte man sich noch aufregen, wenn schon längst Fakten geschaffen waren?
    Das ganze Frühjahr 1941 hagelte es Verbote, die jüdische Menschen, Niederländer vor allem, vom öffentlichen und gesellschaftlichen Leben ausschlossen. Niemand protestierte. Ausschlaggebend für alles Tun und Lassen der Nichtbetroffenen wurden die einschüchternde Erfahrung

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