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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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Reichskommissar einen erstaunlich ironischen Ton anschlug. Ob es überhaupt noch »möglich ist, die Antipathie des niederländischen Volkes der NSB gegenüber zu vergrößern«, wisse er nicht. »Aber sollte dies der Fall sein, so ist sicher diese Überwachung aller NSB -Gebäude in Amsterdam dazu das geeignetste Mittel.« Zum 1. März wurden die Zwangs-Wachen eingestellt, die Ausgangssperre auf 21 Uhr gelockert. Aber da war schon ein anderes Thema Stadtgespräch, verknüpft mit der bitteren Erfahrung, dass die Besatzer noch für alles eine Steigerung in petto hatten.
    Es hatte am 14. Januar 1942 im nordholländischen Städtchen Zaandam begonnen. Auf Befehl der Besatzer teilte der Jüdische Rat allen dort wohnenden Juden mit, dass sie in drei Tagen, einem Schabbat, ihre Wohnung, ihr Haus, ihre Geschäfte und Arbeitsplätze verlassen mussten, für immer. Die einheimischen Juden, denen Zaandam teilweise seit Generationen Heimat war, wurden nach Amsterdam evakuiert. Deutsch-jüdische Emigranten, die in Zaandam Zuflucht gefunden hatten, mussten sich ins Lager Westerbork begeben, das die niederländische Regierung 1939 für die Flüchtlinge aus Deutschland eingerichtet hatte.
    Mirjam Levie, Dolmetscherin und Sekretärin beim Jüdischen Rat, kam aus Amsterdam, half in Zaandam bei der Zwangsumsiedlung und wurde Augenzeugin: »Die Anteilnahme der Bevölkerung war enorm. Die Leute sollten nämlich ihre Möbel zurücklassen … Niederländer schleppten die wertvollen Stücke aus den Häusern der Juden und versprachen, sie aufzubewahren. Noch warme Öfen und Herde wurden aus den Häusern geholt und statt ihrer alte Schrottdinger installiert. Als sie aufbrachen, gab es einen wahren Beifallssturm. Die Straßen waren schwarz vor Menschen, und kein NSB ler wagte sich heraus.« Als erste niederländische Gemeinde wurde Zaandam am 17. Januar 1942 von den Besatzern als »judenrein« erklärt.
    Es folgten Hilversum (29. Januar), Utrecht und Arnhem (9. Februar), Zandvoort und Delfzijl (13. März). Weiter ging es mit den Orten an der Nordseeküste und dem IJ sselmeer bis nach Bussum im Juni. Dann waren bis auf wenige Ausnahmen – Rotterdam – alle niederländischen Juden in Amsterdam und die größtenteils deutschen Flüchtlinge, die nicht in der Hauptstadt wohnten, in Westerbork konzentriert. Ein Schreiben vom Jüdischen Rat, ein Anruf des Polizeichefs an die jeweiligen Bürgermeister, und die jüdischen Bürger packten ihre Koffer. Mitnehmen durften sie, was sie tragen konnten. Was sie an Möbeln und Hausrat zurücklassen mussten, wurde postwendend von den Besatzern ausgeräumt, ausgeraubt. Die Unkosten für den »Umzug« und die neue Einquartierung mussten die Vertriebenen übernehmen.
    In Amsterdam bekam die Stadtverwaltung ein Problem: Wohin mit den Neuankömmlingen? Viele hatten ihre Arbeit verloren und kein Geld für einen neuen Hausstand. Bürgermeister Edward Voûte, ein Parteigänger der deutschen Besatzung, wagte einen kritischen Brief an den Reichskommissar. Neben allen praktischen Problemen erwähnte er die besondere Stimmungslage in der Hauptstadt: »Ein sehr großer Teil des niederländischen Volkes hat nun einmal Mitleid mit den Juden und in Amsterdam könnte dieser Umstand viel eher Anlass zu Gegenkundgebungen sein, als in einer kleinen Gemeinde.« Doch die Machthaber waren sich ihrer Sache sicher. Er wolle über dieses Thema keine weiteren Gespräche führen, ließ der Stellvertreter von Reichskommissar Seyß-Inquart wissen. Die Stadtverwaltung eröffnete ein jüdisches Einquartierungsbüro, das die Zwangs-Amsterdamer bei jüdischen Familien einwies oder ihnen Wohnungen vermittelte, allerdings nur in den drei »Judenvierteln«: der Innenstadt um Waterlooplein, Weesperplein und Nieuwmarkt, in der Transvaalbuurt und in der Rivierenbuurt in Amsterdam Zuid. So groß und wohltuend die Anteilnahme der nichtjüdischen Bevölkerung beim Abschied war, Widerstand gab es nirgends.
    Während der spektakulären Evakuierungen ging fast ein anderer Befehl der Besatzer unter, den der Jüdische Rat Anfang Januar im Jüdischen Wochenblatt weitergab: »Die Autoritäten haben beschlossen, dass besondere Lager für arbeitslose Juden eingerichtet werden sollen.« Die Lager ständen unter niederländischer Aufsicht, die Arbeitsbedingungen seien wie in den übrigen Lagern, »nur der Lohn soll etwas niedriger sein« – tatsächlich war er zwanzig Prozent niedriger. Am Ende klingt es wie eine Beschwörung: »Jenen, die nach einer

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