Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Gesundheits-Untersuchung zur Arbeit in einem dieser Lager aufgerufen werden, wird eindringlich geraten, in ihrem eigenen Interesse diesem Aufruf zu folgen.« Schon am 10. Januar, einem Schabbat, sollten sich 1402 arbeitslose jüdische Männer zwischen 20 und 65 Jahren am Amsterdamer Hauptbahnhof bereithalten. Tatsächlich kamen von den Aufgerufenen nur 905 und wurden zu Arbeitslagern in der Provinz Drente gefahren.
Was der Jüdische Rat beschwichtigend als eine normale Maßnahme weitergab, stand zusammen mit den Zwangsumsiedlungen nach Amsterdam im Dienst einer Ideologie, deren Hauptpfeiler der Hass auf die Juden war und der unbedingte Wille, eine »Endlösung« herbeizuführen, die nur totale Vernichtung bedeuten konnte.
Im Herbst und Winter 1941/42 wurde der längst angelaufene Völkermord an Europas Juden, Sinti und Roma, auf sein Ziel – die »Endlösung« – hin koordiniert und organisiert. »Wannsee-Konferenz« heißt das Stichwort in den Geschichtsbüchern, ein Spitzentreffen von fünfzehn Staatssekretären aus Berliner Ministerien und höchsten SS - und NS -Funktionären in einer Villa am Berliner Wannsee. Eingeladen hatte SS -Obersturmbannführer Reinhard Heydrich, kühler Technokrat und fanatischer Nationalsozialist, seit Sommer 1941 mit der Durchführung der »Endlösung« beauftragt. Ursprünglich schon für den 12. Dezember 1941 angesetzt, fand »die Besprechung mit anschließendem Frühstück« am 20. Januar 1942 statt. Den braunen »Herrenmenschen« am Wannsee ging es darum, rund elf Millionen Menschen – Juden – in den von Deutschen besetzten Ländern Europas in einem absehbaren Zeitraum möglichst effektiv zu vernichten.
Adolf Eichmann, Leiter des Judenreferats IVB 4 im Berliner Reichssicherheitshauptamt, hatte das Zahlenmaterial über Europas Juden zusammengestellt und führte Protokoll. Er sollte von der Zusammenführung der Juden bis zu den Zügen in die Vernichtungslager in Polen die organisatorischen Anstöße geben und alles koordinieren. In Den Haag, dem Regierungssitz der Besatzer, war noch im Januar für ganz Holland das gleich benannte Judenreferat IVB 4 gebildet worden. Wilhelm Harster, SS - und Gestapo-Mann und promovierter Jurist, seit 1940 Befehlshaber der Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes ( SD ) für die Niederlande, meldete am 3. Februar nach Berlin, er habe der Zentralstelle für jüdische Auswanderung ( ZjA ) in Amsterdam »die Vorbereitung der Endlösung« übertragen. Nach und nach griff ein Rädchen der Vernichtungsmaschinerie ins andere. Die einen setzten mit ihren Befehlen den Mechanismus in Bewegung, andere hielten ihn mit Aktionen in Bewegung.
Während hinter einem Schleier aus Lügen und Vertuschung Ungeheures vorbereitet wurde, hatte der Alltag mit seinem Trott und seinen Sorgen die meisten Amsterdamer im Griff. Seit Anfang Februar fuhren an Sonn- und Festtagen keine Busse mehr; zwischen 15 und 17 Uhr und von 21 bis 6 Uhr war nun das Gas abgestellt. Den Zeitungen wurde verboten, Anzeigen mit »unnötigen englischen Ausdrücken« aufzunehmen. Als abschreckendes Beispiel diente eine Werbung des Hotels Bellevue über »showavonden« mit Auftritten der Blue Stars, Savoy Tigers und Honolulu Queens. Die Kultband The Ramblers führte einen zähen Kampf mit den Besatzern, die den englischen Namen löschen wollten. Es muss »Theo Uden Masman und sein Tanzorchester« heißen, war die Entscheidung zum Jahresanfang. Doch Theo Uden Masman, der Gründer und Leiter, gab nicht auf. Im März kam die Erlaubnis, »vorläufig« den alten Namen führen zu dürfen.
Das niederländische Pendant zum Goebbelsschen Propagandaministerium verbot »negroide und negritische Elemente in Tanz- und Unterhaltungsmusik«. Kontrolleure machten in Cafés und Lokalen die Runde. Am 5. März wurde das Tanzverbot verschärft, auch professionelle Tanzschulen mussten schließen. Doch die Amsterdamer wollten sich ihre Vergnügungen nicht nehmen lassen. Die traditionellen »showavonden« wurden von den Veranstaltern einfach zu niederländischen »schouwavonden« verballhornt. Die Tanzschulen kaschierten Tanzkurse ebenfalls als »schouwavonden«, an denen Orchester flotte Rhythmen spielten und Varieté-Künstler auftraten. Im privaten Kreis wurden Konzerte mit »Negermusik« organisiert, die Musiker übernahmen die neuesten Klänge vom »Feindsender« BBC . »Schwarze Abende« nannte man die heimlichen Hauskonzerte, bei denen Pianisten, Sängerinnen oder Streichquartette Hauskonzerte
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