Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Bewegung sei, schließe sich selber von der christlichen Gemeinschaft aus. Wiederholt forderten sie seit der Besetzung der Niederlande eine Einhaltung der Gesetze und eine Gleichbehandlung aller Bürger. Am 13. Juli notiert Hendrik Jan Smeding in seinem Tagebuch: »In der Tat hat die Kirche in diesen Tagen Charakter gezeigt und von den Kanzeln gegen die Maßregeln protestiert.« Die Kirche sei die einzige Institution, die öffentlich protestiert, auch wenn sie damit praktisch nichts ausrichten könne.
Ganz ohne jede Reaktion nehmen die Amsterdamer nicht hin, dass die Juden aus ihrer Stadt vertrieben und ins Ungewisse verschleppt werden sollen. Polizisten werden bei ihrem Gang durch die Straßen auffällig oft und heftig in Gespräche verwickelt. Die Stimmung in der Hauptstadt ist angespannt. Hauptkommissar Tulp hält seine Polizisten schriftlich an, »sofort entschieden gegen Versammlungen von Juden in der Öffentlichkeit aufzutreten« und sich nicht in Gespräche ziehen zu lassen. Die Protokolle in den Polizeirevieren erzählen von Unruhen und Zusammenstößen. Warnschüsse mussten abgegeben werden, weil Passanten eine drohende Haltung gegen Polizisten einnahmen, die auf offener Straße Juden verhafteten, die gegen eins der vielen Verbote verstoßen hatten. In den Zeitungen stehen Drohungen: Wer sich an Sabotage beteiligt, wird ebenso hart bestraft, wie der eigentliche Saboteur; bestraft wird ebenfalls, wer Kenntnis von Vergehen gegen die Besatzer hat und sie nicht anzeigt.
Die drei größten Zeitungen im Untergrund – Het Parool, Vrij Nederland, De Waarheid – veröffentlichen ein gemeinsames »Manifest gegen die Wiedereinführung der Sklaverei«. Het Parool appelliert an die »große Gruppe wohlhabender Niederländer« mit »großen komfortablen Wohnungen« und »Kellern, gefüllt von Hamsterkäufen«, denen ihr Haus zu öffnen, die sich den Deportationen durch Untertauchen entziehen wollen. Der Schreiber des Artikels mit dem Titel »Hohn und Schande« macht sich keine Illusionen: »Mit ihren Familien werden tausende von braven Mitbürgern einfach so abtransportiert, um nirgends mehr ein Zuhause zu finden, und womöglich niemals mehr zurückzukehren.« Statt ohnmächtig dem Unrecht zuzuschauen, sollen die Niederländer gegen den Feind vorgehen: »Mal als militärische Guerilla, mal in bürgerlichen Untergrund-Kämpfen.«
14. Juli, Dienstag – Am Abend soll laut Plan der erste Zug ins Lager Westerbork gehen. Nach der Anzahl derer zu schätzen, die sich im Laufe der Woche in der ZjA für den Arbeitsdienst in Deutschland gemeldet haben, wird der Zug nicht annähernd voll werden. Eine solche Blamage können sich die Verantwortlichen in Amsterdam und Den Haag gegenüber dem Eichmann-Büro in Berlin nicht leisten. In den Vormittagsstunden sperren deutsche Polizisten, die »Grünen«, zusammen mit Amsterdamer Polizisten vom »Nachrichtendienst«, überzeugte NSB ler, in der Innenstadt und in Amsterdam Zuid einige Straßenzüge ab.
So eingekesselt, werden wahllos jüdische Männer und Frauen in den Straßen gepackt und in Autos oder zu Fuß in den Innenhof der Zentralstelle gebracht. Dank dem gelben Judenstern brauchen die Polizisten nicht viel zu fragen. Brutale Szenen spielen sich ab. Frauen und Mädchen versuchen, die Einkesselung zu durchbrechen, springen in Grachten. Wer versucht, ihnen aus dem Wasser zu helfen, wird mit der Waffe bedroht. »Die Züge müssen voll sein!«, notiert Hendrik Jan Smeding an diesem Abend in sein Tagebuch. Durch die Kalverstraat sei »die grüne Polizei« mit geladenen Gewehren auf Fahrrädern gefahren.
Kaum sind die rund 540 Juden bei dieser Razzia festgenommen und zur Zentralstelle abgeführt worden, erscheint eine Sonderausgabe des Jüdischen Wochenblatts mit einem Aufruf des Jüdischen Rates: »Die (deutsche) Sicherheitspolizei teilt uns Folgendes mit: Ungefähr 700 Juden sind heute in Amsterdam verhaftet worden. Wenn diese Woche die dazu aufgeforderten 4000 Juden nicht in die Arbeitslager in Deutschland abziehen, werden die 700 Arrestierten in ein KZ in Deutschland gebracht.« Der Jüdische Rat schickt acht Mitarbeiter zu den Juden, die sich dem »Arbeitseinsatz« verweigert haben. Er appelliert an ihre Solidarität: Wenn sie nicht freiwillig gehen, würde der Rat jede Einflussnahme auf die Deportationen verlieren. Het Parool berichtet über die erschütternden Bilder der Razzia und vom »tapferen Widerstand der Juden«. Und am Ende des Artikels steht die ernüchternde
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