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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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ersten Ferientag viele Schülerinnen und Schüler in das hohe Gebäude am Stadtimmertuin. In die Ferien fahren? Was für eine Illusion für jüdische Schüler. Zuhause bei den sorgenvollen Eltern sitzen, die keine Arbeit hatten, sich kaum noch in der Stadt bewegen durften? Wie konnten sie da entspannen, fröhlich sein. Deshalb gab es in diesem Jahr die »Sommerferien-Schule«. Alle Türen und Klassen des jüdischen Lyzeums waren geöffnet. Lehrer und Schüler organisierten Tischtennisplatten; es gab Gedichtwettbewerbe, Schach- und Volleyballturniere.
    Schnell sprach es sich herum, dass einige Schüler und Schülerinnen am gestrigen Sonntag einen Aufruf zum Arbeitsdienst in Deutschland bekommen hatten und dass es ausschließlich deutsch-jüdische Flüchtlinge waren. Ellen Schwarzschild, die tagsüber in der Schule Abwechslung gesucht hatte, schreibt am Abend des 6. Juli zuhause ins Tagebuch: »Ich habe solche Angst. Seit gestern werden täglich 800 Juden aufgerufen, um in Deutschland zu arbeiten. Von 16–40 Jahren, Jungen und Mädchen. Es ist schrecklich … Gestern und heute Morgen konnte ich mich noch zusammennehmen und meine Gedanken beherrschen. Aber jetzt geht es nicht mehr. Ich muss die ganze Zeit daran denken und obwohl ich erst 15 bin, habe ich unbeschreibliche Angst vor Morgen früh. Es ist wie ein Alptraum: Ich denke, morgen früh bin ich an der Reihe.«
    7. Juli – Amsterdams Polizeichef Sybren Tulp meldet dem SS -Mann Hanns Albin Rauter, oberster deutscher Sicherheits-Chef für die Niederlande, stolz in deutscher Sprache nach Den Haag: »Hier in Amsterdam geht alles wohl und wir sind ganz fertig zu einer glatten Durchführung der Judenmaßnahmen.« Die beiden Männer verstanden sich ausgezeichnet. »Das ist unser Mann«, hatte Rauter in einem Brief an Heinrich Himmler über Tulp geschrieben, der inzwischen in die Germanische SS , die niederländische Unterorganisation der deutschen SS , eingetreten war. Deshalb konnte Tulp sich auch die Bitte leisten, die Polizeibataillone der Schalkhaarder bei den Amsterdamer Judenaktionen vorläufig außen vor zu lassen. Allerdings teilte ihm Rauter mit, das Bataillon solle »hier und da zu den Judensachen herangezogen werden, gerade weil diese Arbeit eine sehr unangenehme ist und weil daran der Charakter der Männer gehärtet werden kann«.
    8. Juli – An diesem Tag sind alle, die am 5. Juli eine schriftliche Auforderung für den Arbeitsdienst erhielten, in die Zentralstelle für jüdische Auswanderung am Adama van Scheltemaplein in Amsterdam Zuid bestellt. Sie stehen in langen Reihen an Tischen im Gymnastiksaal der ehemaligen Schule, wo deutsche und niederländische Beamte und Mitarbeiter vom Jüdischen Rat ihnen Formulare überreichen und beim Ausfüllen helfen. Ihr gesamter Besitz wird registriert, und die Juden müssen eine Erklärung unterschreiben, dass sie sich freiwillig nach Deutschland begeben. Ihnen wird mitgeteilt, an welchem Sammelplatz und zu welcher Uhrzeit sie sich am 15. Juli für die Abfahrt ins Lager Westerbork einfinden müssen.
    Was sie an Gepäck pro Person mitnehmen dürfen, ist genau vorgeschrieben: 1 Koffer oder Rucksack, 1 Paar Arbeitsstiefel, 2 Paar Socken, 2 Unterhosen und Unterhemden, 1 Pullover, 1 Handtuch und Toilettenartikel, 1 Essnapf, 1 Trinkbecher, 1 Löffel, Essproviant für 3 Tage und die für diese Zeit geltenden Zuteilungskarten für Lebensmittel. Haustiere sind verboten. Ihre verschiedenen Ausweise sollen sie nicht im Koffer bewahren, sondern griffbereit bei sich tragen. Die Wohnung ist ordentlich zu hinterlassen und beim Weggang abzuschließen. Hausschlüssel mitnehmen.
    Aber an diesem ersten Tag erscheinen längst nicht alle, die eine Aufforderung bekommen haben. Abends schwärmen deutsche Polizisten und niederländische Kollegen vom Büro für Jüdische Angelegenheiten und dem Nachrichtendienst in die Amsterdamer Judenviertel aus. Die ganze Nacht holen sie Juden, die dem Aufruf nicht gefolgt waren, mit Gewalt aus ihren Wohnungen. Es soll eine deutliche Warnung sein an alle, die sich während der kommenden Tage melden müssen.
    11. Juli – Die Kirchenführer, Protestanten und Katholiken, schicken gemeinsam ein Telegramm an Reichskommissar Seyß-Inquart und protestieren entschieden gegen die antijüdischen Maßnahmen. Damit würden das Rechtsgefühl und die göttlichen Gebote Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verletzt. Schon in den dreißiger Jahren hatten die Kirchen erklärt, wer Mitglied in der Nationalsozialistischen

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