Leben mit Hochsensibilitaet
junge Mann stark auf das Gespräch konzentriert war, achtete er nicht bewusst auf den Lärm von draußen. Sein unbewusstes Reizverarbeitungssystem war gleichwohl damit beschäftigt. Weil er nach diesen Telefonat so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt war, vergaß er, rechtzeitig zu essen, und bemerkte seinen knurrenden Magen nicht. Dann fiel ihm ein, dass er noch schnell zur Post musste, um ein Päckchen aufzugeben. Er sprang auf sein Fahrrad, schlängelte sich zwischen der Baustelle mit aufgerissenem Straßenbelag und dem dichten Verkehr hindurch zur Poststelle. Dort reihte er sich in die Schlange der ungeduldig Wartenden ein. Um ihn herum „summte“ es nur so von unruhigen Gedanken. Einige der scheinbar ruhigenWartenden ärgerten sich im Innern darüber, dass sie warten mussten, denn sie waren in Eile. Unbewusst nahm der junge Mann all diese Energien wahr. Als er schließlich wieder zu Hause war, fühlte er sich äußerst gereizt und verärgert. Er verstand nicht, woher seine Gefühle von Sinnlosigkeit und Wut rührten.
Das ist nur ein Beispiel einer Situation, in der ein Hochsensibler von Reizen überflutet werden kann. Was passierte nun hier genau? Je aufgeregter der junge Mann wurde, desto mehr wurden seine Gedanken und Gefühle angeheizt. Sein ganzer Organismus geriet in erhöhte Einsatzbereitschaft, eine gesunde Reaktion auf eine Alarmsituation. Bestimmte Hormone wurden freigesetzt und bewirkten die bekannten Stressreaktionen des Körpers: erhöhter Puls, erhöhter Muskeltonus, erhöhte Schweißabsonderung …
Auf mentalem Niveau sind die Reaktionen häufig weniger angemessen; hier kommt es dann schnell zu einem Durcheinander. Möglicherweise werden Gefühle und Gedanken verwechselt. Emotionen wie Wut, Angst, Trauer können wachgerufen werden, wodurch die Verwirrung zunimmt.
In einem wachsenden Chaos, einem Wirbel von Gedanken, Gefühlen, körperlicher Spannung und antreibenden Hormonen verlor der junge Mann die Kontrolle über sich selbst. Da sein Geist frei assoziierend hin und her sprang, sah er nun einige Gegebenheiten anders, als sie eigentlich tatsächlich waren. Seine Erfahrungen und Empfindungen wurden getrübt und zusammenhanglos, er wurde ruhelos und verlor zusehends die Fähigkeit, besonnen zu reagieren. Er fühlte sich gejagt, gehetzt und von seinen Emotionen überwältigt. Seine Muskeln verspannten sich unbemerkt, Kopfschmerzen kündigten sich an.
Der junge Mann geriet zunehmend aus dem Häuschen und wurde plötzlich – völlig ungerechtfertigt – böse auf seine Mutter. Auf der Poststelle hatte er seine Wut bereits an den Bediensteten abreagiert und auf dem Heimweg hatte ihn der Verkehr gewaltig geärgert. Während er sein Fahrrad durch die Absperrungen manövrierte, fluchte er auf die Bauarbeiter. Zu Hause angekommen, sah er die ganzeWelt schwarz. Seine Toleranzschwelle war tatsächlich schon lange überschritten, doch er bemerkte es erst jetzt. Jede Menge unschöner Erinnerungen kamen spontan hoch, Erinnerungen an Situationen, die kaum etwas mit dem Telefongespräch mit seiner Mutter zu tun hatten. Doch für den jungen Mann schien es Zusammenhänge zu geben, und die Erinnerungen bestätigten seine emotionale Verfassung. Er griff zum Telefon, um seine Mutter noch einmal anzurufen und ihr für alles Mögliche die Schuld zu geben.
So kann es bei einem hochsensiblen Menschen ablaufen. Viele Hochsensible unterschätzen die Konsequenzen von Reizanhäufung. Wenn sie nicht darauf gefasst sind, können sich verschiedene Reize anhäufen und eine erhöhte Erregung hervorrufen. Selbst wenn man es schafft, ein „zu viel“ an äußeren Reizen zu meiden, besteht noch die Gefahr, dass man durch innere Reize überwältigt wird. Das passiert leider. Das System, das Neugierde und Aktivität hervorruft, kann Denken und Fühlen aufwühlen. Du bist dann beispielsweise überwältigt von einem plötzlichen Einfall: einer Erfindung, einem Reiseplan, oder vielleicht einer Idee, um jemanden zu überraschen. Vielleicht bist du schon gut in der Lage, dein inneres Gleichgewicht zu halten. Vielleicht kennst du deinen Körper so weit, dass du die Alarmsignale verstehst, die dich rechtzeitig vor Reizüberflutung warnen. Wenn das nicht der Fall ist, hast du zumindest jetzt Gelegenheit zu lernen, auf die Körpersignale zu hören. Denn unser Körper zeigt uns ständig, was gut für uns ist. Manche sind jedoch ungeübt darin, auf ihn zu hören. Indem wir jeden Tag neu darauf achten, welche Situationen uns hetzen,
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