Leben mit Hochsensibilitaet
energetischer Empfindungen. Ist man sich dessen jeweils bewusst, kann das helfen, besser in seinem Energiestrom zu bleiben. Bemerkt man beispielsweise, dass man sich bei jemandem oder in einer Situation unwohl fühlt, kann man die Situation verlassen, sobald es möglich ist. Warum sollte man länger bleiben und sich selbst schaden? (Bestimmte Situationen erfordern zwar manchmal sozial erwünschtes Verhalten; und bisweilen muss man sich auch zum Wohl eines anderen entscheiden. Doch wenn du das bewusst tust, fühlst du dich wahrscheinlich sogar gut dabei.)
Ein klares energetisches Gespür oder, wie es oft genannt wird, eine gute Intuition kann nicht nur dir selbst helfen, sondern du kannst auch anderen damit helfen. Das hat sehr viele positive Seiten. Mit dieser Gabe kannst du beispielsweise gute Arbeit in therapeutischen und erzieherischen Bereichen leisten. Kinder sind gut aufgehoben bei sensiblen Menschen.
Energien können dich auch beachtlich aus deiner Mitte bringen. Wenn du sehr altruistisch eingestellt bist – was bei Hochsensiblen häufig vorkommt –, kann es passieren, dass du übernimmst, was ein anderer ausstrahlt. Manchmal beginnt man dann, dessen Probleme als eigene anzusehen und Lösungen an ihn heranzutragen. Man übernimmt Verantwortung, die nicht wirklich zu einem gehört. Man fühlt die Energie des anderen so deutlich und begreift dessen Situation so gut (und hat entsprechendes Mitleid), dass man gefühlsmäßig im anderen aufgeht. Ohne es zu merken, verliert man sich dann selbst. Schon in der Körperhaltung ist man dann nicht mehr zentriert, man neigt sich etwas nach vorn und nach oben. (Beimanchen Menschen, die energetisch stark außerhalb ihrer selbst stehen, sieht man die ganze Halsgegend buchstäblich schief nach vorne stehen.) Die Herausforderung für Hochsensible liegt darin, gleichzeitig für andere offen zu sein und trotzdem in sich selbst gefestigt zu bleiben. Das werden wir noch einige Male ansprechen.
2.3 Sylvias Bedürfnis, nicht zu fühlen
Man kann als hochsensibler Mensch so unter verschiedenen äußeren und inneren Reizen leiden, dass es zum Verzweifeln ist. Eindrücke und Reize können dermaßen belastend sein, dass man am liebsten nichts mehr fühlen möchte. Das passierte Sylvia. Sie ist in vieler Hinsicht äußerst sensibel – und zog es als junge Frau vor, gar nichts mehr zu fühlen.
Sylvia wohnt mit ihrem Hund in einer Wohnung zwischen Wald und Heide. Ich besuchte sie an einem Septembernachmittag. Als ich vor der Tür stand, war ich etwas aufgeregt und gleichzeitig gereizt durch die lange ermüdende Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Da ich selbst hochsensibel bin, bin ich manchmal schon von einer kleinen Reise erschöpft. Ein Nachteil von öffentlichen Verkehrsmitteln ist, dass man dort nicht allein ist und viele Eindrücke auf einen einstürmen. Im Zug – an diesem Tag überfüllt mit Ausflüglern – musste ich mit meinem im fünften Monat schwangeren Bauch leider stehen (ja, auch ich muss manchmal noch lernen, besser für mich zu sorgen), die Busverbindung schloss nicht an und zwang mich, noch einmal vierzig Minuten zu warten. Somit bescherte mir der kurze Weg von Amsterdam nach Zeist (58 km Autostrecke, Anm. d. Üb.) mehr Aufregung, als gut für mich war.
Ich war neugierig auf den Menschen, den ich antreffen würde. In unserer E-Mail-Korrespondenz hatte mir Sylvia von ihrer langjährigen Drogenvergangenheit berichtet, und dass sie gern etwas zur Beziehung von Drogenabhängigkeit und Hochsensibilität sagen wolle. Warum Drogen für sie eine Möglichkeit dargestellt hatten, weniger zu fühlen – ihre Sensibilität sozusagen „wegzuspritzen“.„Ich war ein schlimmer Junkie“, schrieb sie. „ein paar Mal wäre ich fast gestorben.“ Zehn Mal unterzog sie sich einer Entziehungskur. Beim letzten Mal erfolgreich. Insgesamt war sie 22 Monate in Behandlung gewesen.
Als Sylvia mich in ihre bescheidene Wohnung ließ, fielen alle Irritationen unmittelbar von mir ab. Als sei ich in ein Bad von Freundlichkeit und Ruhe gestiegen. Mir wurde sofort klar: Das heutige Leben dieser Frau war weit entfernt von ihrer Drogenvergangenheit. Auf die eine oder andere Art war es ihr gelungen, ein neues Leben anzufangen. Ein Leben, das vermutlich viel mehr in Einklang mit ihrer Hochsensibilität war. Denn sie sei „äußerst hochsensibel“, hatte sie mir geschrieben.
Nachdem sie mir ein Tässchen Kaffee eingeschenkt hatte, bat ich sie, etwas mehr über ihre Sensibilität zu
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