Leben mit Hochsensibilitaet
wieder bewusst mit dem Einfühlen in Menschen und Situationen beschäftigst, wirst du überrascht sein, was du alles bemerkst. Die Kunst besteht darin, auf respektvolle Art, das heißt ohne Konflikt mit anderen, diese Wahrnehmung als Wegweiser für dich zu nutzen.
Bei der Gelegenheit muss ich anmerken: „Abgrenzung“ wird auch kritisch diskutiert unter Hochsensiblen. Abgrenzung kann aus dieser Sicht zu einem Sich-Abschließen von allem und jedem werden – zu etwas, wodurch man Gefahr läuft, sich selbst aus der Welt zurückzuziehen. Das ist mitunter angenehm oder gar nötig, doch auf Dauer nicht befriedigend. Außerdem kann man sich damit eine feindselige Haltung angewöhnen. Als hätten andere eine scheußliche Krankheit, vor der man sich schützen müsse. So sollte man natürlich weder sich selbst noch die Welt betrachten. Wenn es dir gelingt, dich liebevoll auf die Welt einzustellen, entsteht ein Gefühl der Sicherheit, dass zu einer dir innewohnenden Kraft wird, die dich automatisch beschützt. Respekt ist äußerst wichtig, wenn es um Abgrenzung geht.
Abschließend: Trainiere täglich, dich mit liebevollem Blick anzuschauen. Bringe dir selbst die Überzeugung bei:
Alles, was ich bin und tue, ist stets ganz und gar gut
. Bist du etwa nicht davon überzeugt? Erinnere dich regelmäßig an die Seiten, die du an dir auf jeden Fall gut findest. Du bist beispielsweise eine gute Freundin/ein guter Freund, eine aufmerksame Zuhörerin/ein aufmerksamer Zuhörer, eine gute Köchin/ein guter Koch, eine tatkräftige Problem-löserin … Was auch immer, es gibt mindestens zwanzig Dinge, für die du dich wertschätzen und loben und die du notieren solltest. Tu das einmal – und lese die Liste jeden Abend vor dem Einschlafen durch.
2.9 Angst und Unruhe lokalisieren und akzeptieren
Hochsensible Menschen bemerken vieles und verarbeiten Eindrücke so ausführlich, dass diese dadurch intensiviert werden. Das zeigt sich unter anderem bei Emotionen. Viele Hochsensible fühlen sich regelmäßig von Emotionen überwältigt. Sie sind sehr schnell verärgert oder betrübt.
Anne schreibt: „Ich leide an allem Möglichen. Zum Beispiel Panikattaken. Nachts werde ich zitternd vor Angst wach. Vieles passiert in mir, was ich nicht verstehe. Manchmal denke ich, dass ich verrückt werde. Obwohl ich weiß, das ist ganz bestimmt nicht der Fall. Gefühlsmäßig stehe ich völlig offen und bin dadurch natürlich besonders verletzlich. Heute Nacht wurde ich durch ein unruhiges Gefühl wach. Ich ging in die Küche, um meine Paniktablette (Oxazepam) einzunehmen und zur Ruhe zu kommen. Ich wartete kurz, bis sie zu wirken anfing, und ging dann zurück ins Bett. Mein Partner ärgerte sich darüber. Er will, dass ich mein Gefühl ausschalte und ganz normal und bodenständig werde. Seiner Meinung nach schwebe ich zu sehr in den Wolken und könnte das, wenn ich nur wollte, ändern. Nun möchte ich wissen, wo der Schalter dafür ist.“ 15
Gefühlsregungen können Hochsensible derartig überwältigen, dass sie keine Macht darüber haben. Starke Emotionen behindern nicht nur dich, sondern häufig auch diejenigen, mit denen du zusammen lebst. Die heftigen Emotionen treten so sehr in den Vordergrund, dass sie dich überwältigen und du sie irgendwie entladen musst. Dadurch kann es zu unnötigen Konflikten mit anderen kommen. Oder dazu, dass du dich aus den Kontakten zurückziehst. Bei starken Stimmungen fühlt es sich an, als würde dir der Grund unter den Füßen weggezogen; du bist nur noch Emotion. Hochsensible leiden leicht unter starken Stimmungen und Stimmungsschwankungen, vor allem, wenn sie sich der Auswirkungen der Hochsensibilität nicht bewusst sind. Stimmungen können plötzlich auftreten und ebenso plötzlich verschwinden. Morgens erscheintdas Leben noch wie ein herrliches Fest, die Sonne strahlt und auch die Menschen auf der Straße strahlen heute etwas Besonderes aus. Dann, beim Einkaufen, macht eine ungehobelte Person eine höhnische Bemerkung über dich, und peng! Der Tag ist gänzlich verdorben. Du gehst weinend nach Hause. Emotionen können auch hartnäckig sein und sich festsetzen in Form einer Depression. Wochen- oder monatelang können sie dich quälen.
Stimmungen drücken sich deutlich im Körper aus. Ramon erinnert sich an keine Lebensphase, in der er nicht regelmäßig unter Spannungen im Bauch litt. Als er als achtjähriger Junge zum Schwimmunterricht gebracht wurde, fühlte er beklemmende Nervosität im Magen. Jetzt, als
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