Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
zu arbeiten, fiel aufmerksamen Ärzten auf, dass die schweren Knochendeformationen der Rachitis sich in den rauchverdüsterten europäischen Städten häuften und auf dem Land kaum auftraten. Sie verschrieben als Therapie daraufhin Aufenthalte im Sonnenlicht, wurden aber von der Wissenschaft ignoriert, bis die Diagnose in den 1920er-Jahren mit Röntgenbildern bewiesen werden konnte. Daraufhin empfahl die US-Regierung, allen Kindern eine Mindestdosis Sonnenlicht zu gönnen, und die Molkereien fingen an, ihre Produkte mit Vitamin D anzureichern.
Die Rachitis verschwand wieder, und im 20. Jahrhundert fand die Forschung dann auch heraus, was Vitamin D im Körper genau bewirkt. Zuerst absorbiert die Haut die UVB-Strahlung des Sonnenlichts. Das löst eine Kaskade von Ereignissen aus, die dazu führen, dass Vitamin D in den Nieren aktiviert wird, damit die Organe und Gewebe des Körpers es verwerten können. Vitamin D ist nicht nur nötig, um den Kalziumspiegel des Körpers konstant zu halten, der für den guten Zustand der Knochen wichtig ist, sondern reguliert auch etwa 2000 Gene. Es spielt eine Rolle bei Wachstum und Absterben von Zellen, was den Zusammenhang mit der Wachstumsrate von Karzinomen erklärt. Es beeinflusst die Blutgefäße, deshalb die Beziehung zu Blutdruck und Herzkrankheiten. Sein Einfluss auf Entzündungen und das Immunsystem verbindet es mit Allergien und Asthma, Infektionskrankheiten wie Grippe und Tuberkulose sowie mit Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose und Typ-1-Diabetes. Je höher der Vitamin-D-Spiegel, so die Theorie, desto geringer das Risiko, an diesen Leiden zu erkranken.
Aber trotz der Rolle von Vitamin D bei vielen Vitalfunktionen des Körpers dürfen wir nicht vorschnell mit verallgemeinernden Aussagen über seine Verbindungen (»Zusammenhänge«) mit diversen Krankheiten sein. Trotz Tausender Studien gibt es wenig Aussagekräftiges über echte Verbesserungen durch zusätzliche Vitamin-D-Zufuhr; und hier kommt wieder die Semantik ins Spiel. Eine Studie sollte immer ein großer, kontrollierter, doppelblinder und randomisierter Test unter Beachtung wissenschaftlicher Kriterien sein. Leider ist es nicht immer so, besonders, wenn es um Vitamin D geht.
Eine diesen Kriterien entsprechende Studie zu dem möglichen Nutzen von Vitamin D, die theoretisch ja verlässliche Ergebnisse bringen müsste, ist fast unmöglich, weil der Vitamin-D-Spiegel eines Menschen nicht kontrollierbar ist. Erstens handelt es sich um ein Vitamin, das der Organismus ständig aus natürlichen Quellen gewinnt, dem Sonnenlicht und bestimmten Nahrungsmitteln wie Wildlachs, angereicherter Milch und Getreideprodukten. Anders als ein Medikament in der Erprobungsphase, das Versuchsteilnehmern einer Studie kontrolliert verabreicht wird, kann Vitamin D nicht so einfach zugeteilt werden. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe einer solchen Studie, die kein Vitamin D verabreicht bekämen, könnten es immer noch über das Sonnenlicht oder Vitamin-D-reiche Nahrungsmittel aufnehmen, sodass es schwierig, wenn nicht unmöglich wäre, die Gruppen einer Studie miteinander zu vergleichen.
Betrachten wir eines der spektakuläreren kürzlichen Studienergebnisse zu Vitamin D, das 2009 von einem Forscherteam am Intermountain Medical Center in Utah vorgelegt wurde. Unter den 27686 über 50-jährigen Patienten der Studie, die im letzten Jahrzehnt einen Vitamin-D-Test absolviert hatten, trat Herzversagen bei denjenigen mit den niedrigsten Vitamin-D-Werten um 90 Prozent häufiger auf als bei jenen mit den höchsten Vitamin-D-Werten. Die Patienten mit Vitamin-D-Mangel hatten mit einer um 81 Prozent größeren Wahrscheinlichkeit bereits einen Herzinfarkt und einer um 51 Prozent größeren Wahrscheinlichkeit bereits einen Schlaganfall erlitten. Gibt es da also einen Zusammenhang? Auf den ersten Blick scheint die Studie ein überzeugendes Argument für den präventiven Wert von Vitamin D bei Neigung zu Herzkrankheiten zu liefern.
Eine Korrelation ist aber noch keine Kausalität, ein Zusammenhang bedeutet nicht automatisch eine Ursache. Man kann die Ergebnisse dieser Studie auch so interpretieren, dass eine Herzkrankheit direkt oder indirekt zu Vitamin-D-Mangel führt, zum Beispiel weil Herzkranke sich weniger im Freien bewegen und so weniger Sonnenlicht abbekommen. Außerdem kommt noch das Problem der Fettleibigkeit hinzu; denn überschüssiges Fett absorbiert Vitamin D, sodass es im Körper nicht eingesetzt werden kann. Weist
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