Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
dumpfigen, feuchten Luft unter Deck, die ein gesundes Schwitzen verhindere. Er erkannte also zwar den Nutzen von Zitrusfrüchten, sah in ihnen aber nie die einzige Lösung, sondern ging davon aus, dass Skorbut eine komplexe Ursache habe, die mehrere Heilmittel erfordere. Fairerweise muss man sagen, dass er sich angesichts der Unmöglichkeit, die Ursachen des Skorbuts aufzuklären und so die richtige Therapie zu erkennen, sehr gut geschlagen hat. Linds Schriften etablierten seine Gesamttheorie der Krankheit und zeigten, wie wichtig die Ernährung, besonders Obst und Gemüse, in dieser Theorie war. Seine Abhandlung ließ schon erahnen, wie eine gesunde Ernährung, in der Obst und Gemüse die Schlüsselrolle spielen, aussehen konnte.
Im Jahr 1762 verfasste Lind einen Essay über die wirkungsvollsten Methoden, um die Gesundheit von Seeleuten zu bewahren. Er empfahl darin den Anbau von »Salat« – gemeint ist Wasserkresse, die pro 100 Gramm einen Gehalt von 662 mg Vitamin C hat – auf nassen Decken. Das wurde tatsächlich umgesetzt, und im Winter 1775 versorgte man die britische Armee in Nordamerika mit Senf- und Kressesamen. Wäre es Lind gelungen, die wahre Ursache des Skorbuts – den Vitamin-C-Mangel – festzustellen, dann hätte er vermutlich noch weit mehr Seeleute retten können als mit seiner Liste von Ratschlägen. Als er seine Autopsien durchführte, muss er sich gefühlt haben, als habe sich hier etwas oder jemand gegen ihn und seine Mitmenschen verschworen. In seinem Treatise fragte er sich, wie es kam, dass die Gehirne der Skorbutopfer so unberührt von der Krankheit blieben. Es schien widersinnig, und die Wissenschaft sollte noch lange brauchen, um diese Krankheit wirklich zu verstehen.
Die Wirkung von Vitamin C auf Ihr Gehirn und auf Tumore
Machen wir jetzt einen Zeitsprung ins Jahr 1996, als ich am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York im Labor von Dr. David Golde arbeitete, dem damaligen Chefarzt. Wir wollten dort weitermachen, wo Lind aufgehört hatte. Gut, es ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber immerhin half die Zufallsentdeckung, die meine Kollegen und ich machten, bei der Aufklärung des kleinen medizinischen Rätsels, auf das Lind bei seinen Autopsien gestoßen war. Wir befassten uns allerdings gar nicht mit Skorbut oder damit, wie Vitamin C ins Gehirn gelangt. Sondern wir versuchten herauszufinden, wie es Karzinomen gelingt, sich auf Kosten des normalen Gewebes, in das sie eingelagert sind, mit Nährstoffen zu versorgen, und dazu verfolgten wir die Transportwege von Vitamin C im Körper.
Viele große wissenschaftliche Fortschritte verdanken wir der Aufmerksamkeit von Forschern, die zufällig auf etwas Wichtiges stießen und es auch als wichtig erkannten. Unsere Entdeckung war da keine Ausnahme. Bei unserem Experiment injizierten wir Mäusen eine Variante von Vitamin C in die Schwanzvene, die bei der Absorption im Körper leuchtete. Zu unserer großen Überraschung gelangte das Vitamin C nicht ins Gehirn.
Das Gehirn hat nämlich eine beeindruckende Verteidigungsmauer um sich herum, die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, die nur ausgewählte chemische Stoffe passieren können. Sie ist so wirkungsvoll, dass es mitunter einfacher ist, ein Loch in den Schädel zu bohren und ein Medikament direkt auf die Hirnoberfläche zu tropfen, als sich mit dem Durchbrechen der Blut-Hirn-Schranke abzumühen. Die Medizin greift auf diese Methode zurück, um bestimmte Erkrankungen des Hirns oder Hirntumore medikamentös zu behandeln, aber selbst das ist wegen der Struktur der Blut-Hirn-Schranke schwierig. Die Wunder der modernen Medizin ermöglichten es uns, das Experiment fortzuführen und schließlich zu bestimmen, welcher schlauen Methode das Gehirn sich bedient, um Vitamin C aufzunehmen. Es nimmt nicht wirklich Vitamin C auf, sondern nur eine veränderte Version namens Dehydroascorbinsäure, die die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. So gelangt Vitamin C übrigens in alle Organe unseres Körpers, aber weil das Gehirn mehr dieser speziellen Transporter enthält, ist der Vitamin-C-Spiegel im Zentralnervensystem zehnmal so hoch wie im übrigen Körper. Das Gehirn kann das vom Körper aus äußeren Quellen zugeführte Vitamin C anreichern. Die Regulierung des Vitamin-C-Werts im Gehirn ist wichtig, da das Vitamin gebraucht wird, um den Neurotransmitter Noradrenalin zu produzieren.
Die Abbildung zeigt drei digitale Gewebescans einer Ratte mit (a) radioaktiv markierter
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