Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
Ascorbinsäure (Vitamin C in seiner natürlichen, nicht transportablen Form), (b) radioaktiv markierter Dehydroascorbinsäure (die transportable, oxidierte Form) und (c) radioaktiv markierter Saccharose (einem nicht transportablen Zuckermolekül).
Quelle: JCI 1997; 100(11): 2842–2848.
Um sich eine Vorstellung davon zu machen, denken Sie an einen aufgespannten Regenschirm, der nicht durch eine schmale Türöffnung passt. Schließt man den Schirm und verändert seine Form, so passt er leicht hindurch, auf der anderen Seite kann man ihn dann wieder aufspannen. Das geschieht auch mit Vitamin C. Das Gehirn hat eine schmale Türöffnung, die Ascorbinsäure (das ist die chemische Bezeichnung für Vitamin C) nur in ihrer oxidierten Form als Dehydroascorbinsäure durchlässt. Deren Moleküle unterscheiden sich ein wenig von denen im Orangensaft. Einmal im Gehirn angelangt, verwandelt sich die oxidierte Ascorbinsäure wieder in ihre ursprüngliche Form zurück. Man kann die Dehydroascorbinsäure selbst übrigens nicht direkt einnehmen, weil sie zu instabil ist.
Vitamin C ist unabdingbar für die Funktion des Zentralnervensystems, und es bedient sich desselben Transportmechanismus, mit dem das Gehirn auch Glukose durch seine Grenzbefestigungen schleust. Die von Lind sezierten Gehirne waren gesund, weil sie ihren eigenen Vitamin-C-Vorrat hatten, von dem sie noch zehren konnten, als der Rest des Körpers schon an Mangel litt. So wird sichergestellt, dass das Gehirn bis zuletzt noch mit Vitamin C versorgt wird. Wenn Sie also Ihrem Gehirn eine Extradosis Vitamin C gönnen wollen, können Sie sich die Tabletten sparen, denn das meiste darin wird mit dem Urin wieder ausgeschieden werden und nur wenig bis ins Gehirn vordringen.
Können wir das Gehirn zwingen, mehr Ascorbinsäure aufzunehmen? Gewiss, und zwar mit der beschriebenen Variante des Vitamins. Die Veränderung des Vitamin-C-Spiegels im Gehirn könnte sich als nützlich bei der Therapie verschiedenster neurologischer Störungen erweisen. Vitamin C ist ein Antioxidantium, eine Art Pac-Man-Molekül, das gefährliche Chemikalien auffrisst, die sogenannten Oxidantien oder Freien Radikale. Oxidantien gelten in vielen Krankheitsbildern als eine Art Querschlägerkugeln, die Zellen auf der genetischen Ebene schädigen. Sie werden mit der Alzheimer- und der Parkinson-Krankheit sowie mit Hirnschädigungen nach einem Schlaganfall in Verbindung gebracht. Außerdem spielen sie eine Rolle im allgemeinen Alterungsprozess; daher sind sie in Anti-Aging-Kreisen so unbeliebt. Dort gibt man sehr viel auf Antioxidantien. Ich muss allerdings warnen, dass das Oxidationssystem nicht ganz so einfach ist; das werden wir später in diesem Buch noch sehen.
Unser kleines Experiment hat zu neuen Versuchen geführt, die den Einsatz von Vitamin C und seinen Derivaten als Medikamente untersuchen. Ziel ist die Bekämpfung Freier Radikale im Gehirn, die dort mit ihrer schädlichen Wirkung Erkrankungen verschlimmern können. Aber bei Hirntumoren und anderen Karzinomen ist es nicht unbedingt die Therapie der Wahl. Vitamin C trägt zwar womöglich zur Krebsvorsorge bei, aber wenn man einmal an Krebs erkrankt ist, wird es zu einem Erzfeind, denn Tumore lieben Vitamin C. Sie verschlingen es wie Süßigkeiten; wenn man als Krebskranker also große Dosen Vitamin C einnimmt, füttert man seinen Tumor, anstatt ihn zu bekämpfen. Ende der 1990er-Jahre gehörte ich zu dem Forscherteam unter David Golde am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, dem diese Entdeckung gelang. Die Tumore bedienen sich desselben Mechanismus, mit dem auch Glukose die Zellmembran passiert und in die Zelle gelangt. Bösartige Krebszellen fressen mehr Glukose als normale, um ihren hohen Energiebedarf zu decken, und absorbieren außerdem mehr Vitamin C.
Tumore sind bekannt dafür, dass sie von entzündetem Gewebe umgeben sind und über zahlreiche dieser Glukose- und Vitamin-C-Transporter verfügen. Die Krebszellen teilen sich laufend und brauchen ständig Glukose, was die Zahl der Transporter hochregelt. Krebsgeschwülste wachsen so schnell, dass sie dabei oft ihre eigene Blut- und damit Sauerstoffversorgung überholen; deshalb finden sich im Bereich des Tumors immer Nekrosen (totes Gewebe), die eine Entzündung auslösen. Vitamin C haben wir immer im Blut, aber es gelangt nur dann in die Zellen, wenn es zu Dehydroascorbinsäure oxidiert. Das Vitamin C (Ascorbinsäure) aus dem Blut wird direkt am Tumor durch die
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