Leben ohne Krankheit: »Einer der besten Mediziner Amerikas lehrt ein radikal neues Denken über unsere Gesundheit.« Al Gore (German Edition)
eigenen wichtigsten Forschungen Fortsetzungen von Linds Arbeit waren.
Im 18. Jahrhundert wurden ganze Kriege nicht von der Bewaffnung oder Heeresstärke entschieden, sondern der Ernährung der Soldaten. Durch Skorbut kamen mehr britische Soldaten um als durch Feindeinwirkung, und er trug dazu bei, dass die Franzosen die Seeschlacht von Trafalgar verloren. Von allen traurigen Geschichten über diese Krankheit erregte keine mehr Aufmerksamkeit in Europa als die von George Ansons katastrophal gescheiterter Weltumseglung von 1740 bis 1742. Innerhalb der ersten zehn Monate verlor Anson nahezu zwei Drittel seiner Mannschaft (1300 von 2000 Seeleuten) an die Krankheit. Im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) zog die britische Royal Navy laut eigenen Berichten 184899 Mann als Seeleute ein; von diesen verstarben 133708 durch Krankheit oder wurden als »vermisst« geführt; von den Krankheiten war der Skorbut die verbreitetste.
James Lind ging als einer der ersten Ärzte in die Geschichte ein, die den Skorbut wirklich verstehen wollten. Lind, ein aus Schottland stammender Marinearzt, empfahl bereits richtigerweise, an Bord von Schiffen frische Limonen an die Seeleute zu verteilen, woher übrigens deren Spitzname »Limeys« rührt. Lind vermutete, dass Limonensaft dem Skorbut vorbeugen würde. Mit seinen Vermutungen lag er nahe an der Wahrheit, wenn auch nicht immer richtig. Als Lind Autopsien der zerfallenden Körper von Skorbutopfern durchführte, die auf See der Krankheit erlegen waren, stieß er auf verwirrende Befunde, die ihn den größten Teil seines Lebens über beschäftigen sollten. In seinem historischen Buch Treatise von 1753 schrieb er: »Überaus ungewöhnlich war indes, dass die Gehirne dieser unglücklichen Kreaturen sich stets gesund und unzerstört zeigten.« Er grübelte intensiv darüber nach, was den Skorbut eigentlich verursachte und wie man ihn stoppen könnte.
Skorbut ist eine schreckliche Krankheit, die, wie wir heute wissen, von Vitamin-C-Mangel verursacht wird. Zu Linds Zeit waren Vitamine noch unbekannt, und es sollte noch lange so bleiben. (Noch bis ins 20. Jahrhundert galt der Skorbut als Infektionskrankheit.) Vitamin C dient dem Körper zu verschiedenen Zwecken, unter anderem bei der Herstellung des Neurotransmitters Noradrenalin, beim Fettstoffwechsel, bei der Kollagensynthese und der Aufnahme von Eisen. Im Lauf ihrer Evolution haben die Menschen – wie auch einige andere Spezies – das Gen verloren, mit dem der Organismus Vitamin C in der Leber selbst synthetisieren kann (Mäuse zum Beispiel haben es noch). Ausbleibende Vitamin-C-Zufuhr hat also schwere Schäden zur Folge, wie die Symptome des Skorbuts beweisen. Ohne Vitamin C kann der Körper sein »Gerüst« nicht zusammenhalten; das Bindegewebe beginnt zu zerfallen. Skorbut zeigt sich in Unterhautblutungen, schwammigem Zahnfleisch und Schleimhautblutungen. Die Flecken der Unterhautblutungen zeigen sich am häufigsten an den Beinen. Die Kranken sind blass, fühlen sich niedergeschlagen und leiden an partiellen Lähmungen. In fortgeschrittener Form führt Skorbut zu offenen, nässenden Wunden und Zahnausfall. Nach weiterem Verfall des Körpers tritt schließlich der Tod ein.
Lind war zwar nicht der Erste, der Zitrusfrüchte als Mittel gegen Skorbut vorschlug, aber der Erste, der ihre Wirkungen in einer systematischen Studie untersuchte, die er 1747 durchführte und die als einer der ersten klinischen Tests in der Geschichte der Medizin gilt. Linds Beitrag zum medizinischen Fortschritt bestand aber nicht nur in der Entdeckung, dass die Lösung des Skorbutproblems in Orangen und Limonen lag. Er war außerdem ein Pionier der Bordhygiene in der Royal Navy, propagierte die gesundheitsfördernde Wirkung von besserer Durchlüftung, besserer Hygiene bei Kleidung, Bettzeug und den Körpern der Matrosen selbst, sowie der Ausräucherung der Räume unter Deck mit Schwefel und Arsen. Außerdem wies er darauf hin, dass man Süßwasser leicht durch das Destillieren von Meerwasser gewinnen könne. Sein Werk förderte die Präventivmedizin und eine bessere Ernährung an Bord.
Den Wirkmechanismus der Krankheit, der Geißel aller Seeleute und Entdeckungsreisenden seiner Zeit, verstand er allerdings nie. Seine große Abhandlung wurde völlig ignoriert. Mit der medizinischen Lehrmeinung seiner Zeit glaubte Lind, Skorbut werde von schlecht verdautem und im Körper faulendem Essen verursacht, außerdem von verschmutztem Trinkwasser, Überarbeitung und der
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